22.08.2023 19:35

Militärbischof a.D. Sigurd Rink nennt Militärseelsorge ein "krankes System"

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Deutsches Pfarrerblatt, August 2022, Autorin: Sylvie Thonak
 
Zur bleibenden Reformbedürftigkeit der evangelischen Militärseelsorge - Die Gefahr von Heroismus und Selbstsäkularisierung
 
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar sortiert sich der kirchliche Friedensdiskurs neu. Die Erfahrungen und Sichtweisen der Militärseelsorge werden mit zunehmender Militarisierung der europäischen Politik künftig innerhalb der Gesamtkirche wohl stärker beachtet werden müssen, meint Sylvie Thonak. Sie hatte in der Märzausgabe des Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatts eine Reform der evangelischen Militärseelsorge gefordert und reagiert hier auf ihre Kritiker.
 
Der vom Rat der EKD berufene Militärbischof Sigurd Rink nannte in einem seiner letzten Vorträge vor seinem Ausscheiden aus diesem Amt die Militärseelsorge ein „krankes System“1, da staatliche und kirchliche Strukturen in ihm in unausgeglichener Spannung zueinander stünden. Zwei gegenläufige Vorgänge aus dem Jahr 2020 können das beleuchten und bringen die Reformnotwendigkeit der evang. Militärseelsorge ans Licht und hoffentlich auf die Tagesordnung protestantischer Synoden:
 
¬ Im August 2020 wurde publik, dass Militärgeneraldekan Heimer kurzfristig das Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr zu einer „Truppenkameradschaft Militärseelsorge“2 deklarierte. Dies geschah nicht in einem Privathaus, sondern im Haus des Evang. Kirchenamtes für die Bundeswehr in Berlin. Dabei sprach Heimer vom „Militärkirchenamt“3. Das Ereignis hat ihm zufolge eine „historische Dimension“ – man sei nun offiziell Kameraden der Soldaten.4 Es zeigt sich hier eine Bestrebung, Militärseelsorge weniger als Gegenüber, sondern als Teil der „Truppe“ zu begreifen.
 
¬ In genau entgegengesetzte Richtung weist ein Beschluss der Kreissynode des Kirchenkreises Jülich an 3. Oktober 2020 im Nachgang zur EKD-Friedenssynode 2019 zum Thema „Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens“5: Die evangelische Militärseelsorge solle den Auftrag zur Seelsorge der Kirche an Soldaten und Soldatinnen sowie ihren Familien eigenständig und frei von staatlichen Einschränkungen als kirchliche Arbeit ausüben. Die Kreissynode des Kirchenkreises Jülich beschloss, die Landessynode der Evang. Kirche im Rheinland aufzufordern, diese möge den Rat und die Synode der Evang. Kirche in Deutschland bitten, in Verhandlungen mit der Bundesregierung eine Revision der Regelungen zur evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr zu bewirken, um die Seelsorge an Soldatinnen und Soldaten in die landeskirchlichen Strukturen („personale Seelsorgebereiche“ der Ortsgemeinden oder Funktionspfarrämter der Landeskirchen, Presbyterien und Synoden) zu reintegrieren.6
 
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24.2.2022 sortiert sich der kirchliche Friedensdiskurs neu; die Erfahrungen und Sichtweisen der Militärseelsorge werden mit zunehmender Militarisierung der (europäischen) Politik künftig innerhalb der Gesamtkirche wohl stärker beachtet werden.
 
Vor dieser „Zeitenwende“ veranstaltete die Ruhr-Universität Bochum am 20./21.11.2019, gefördert durch das Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr, ein Symposium zum Thema Seelsorge in der Lebenswelt Bundeswehr.7 Im Nachgang zur o.g. „Zeitenwende“ ist es dringend geboten, das Verhältnis von Kirche und Bundeswehr neu zu bedenken. Hier werden im Anschluss an das Militärseelsorge-Symposium zwei Problemkreise diskutiert: (1.) Die Gefahr „heroischer Kontaminierung“ von Seelsorgenden und ein damit einhergehender Rollenkonflikt bei Militärgeistlichen, (2.) die Problematik des lebenskundlichen Unterrichts als Aufgabe von Militärgeistlichen und die Tendenz zur Selbstsäkularisierung.
 
1. Gefahr von Heroismus und Rollenkonflikten in der evang. Militärseelsorge
 
Polizeiseelsorger Werner Schiewek befasst sich in seinem Beitrag zum Thema Heroismus in der Seelsorge – über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen einer seelsorgerlichen Ressource in Militär und Polizei mit der besonderen Gefahr der „heroischen Kontaminierung“ von Seelsorgenden in diesen Organisationen. Sie resultiere aufseiten der Seelsorgenden nicht nur aus der thematischen Beschäftigung mit militärischen oder polizeilichen Fragen und einem daraus erwachsenden Verständnis für die spezifischen Aufgaben und Tätigkeiten, sondern besonders aus einer gemeinsam geteilten Lebenswelt und damit einhergehenden gemeinsamen Erfahrungen. Dies hänge mit der „ökosystemischen Einbettung“ der Seelsorge und mit der wechselseitigen Durchdringung von Kontext und Seelsorge zusammen.8
 
Der ehemalige Militärdekan Klaus Beckmann beschreibt die strukturelle Anfälligkeit von Militärgeistlichen für Rollenkonflikte. Aus eigener Beobachtung weiß er, dass das hierarchisch gegliederte militärische Gefüge zwar „vordergründig weniger ‚Konfliktfallen‘ als das komplexe System Kirchengemeinde“ stelle. Eigene Nähe zum Kommandeur könne dem Militärgeistlichen „eine Komfortzone schaffen, unter – meist unausgesprochenem, gleichwohl dem Vertrauen massiv abträglichen – Missfallen der Soldaten des Standortes, die kolportieren mögen, der Pfarrer oder die Pfarrerin sitze dem Kommandeur ‚auf dem Schoß‘.“9 Beckmann formuliert pointiert: „So sehr es mancher Militärgeistliche erfahrungsbedingt auch begrüßt, in einem ‚gremienprotestantisch‘ unberührten Bereich zu arbeiten, tendiert die straff gegliederte ‚unkirchliche‘ Umgebung ihrer Natur gemäß doch dazu, ein ständiges Angewiesensein auf die Gunst der militärischen Hierarchie zu vermitteln.“10
 
Auch Isolde Karle und Niklas Peuckmann betonen, wie wichtig es sei, die stets gefährdete Unabhängigkeit der Militärseelsorge zu erhalten und zu fördern. Jede „Bereichsseelsorge“, mithin jede Seelsorge, die in einer nicht-religiösen Institution angesiedelt ist, stehe in der Gefahr, von der Leitlogik der gastgebenden Institution absorbiert zu werden. Das Soziale sei in aller Regel stärker als das Bewusstsein, deshalb ließen sich Seelsorgende leicht in den Sog der Systemlogik ziehen, die in einer Institution vorherrsche. In der Bundeswehr scheine diese Dynamik besonders ausgeprägt zu sein. Das habe einerseits damit zu tun, dass die Militärseelsorge immer noch als Stiefkind11 von Kirche und Theologie betrachtet werde und die EKD mit ihrem Fokus auf pazifistische Friedenslösungen den Problemen und Herausforderungen, die sich der Bundeswehr stellten, nicht immer gerecht werde. Und es habe mit einer Institution zu tun, die ausgeprägter als andere Institutionen, in denen Seelsorgende tätig sind, durch hierarchische Strukturen bestimmt sei und zugleich dazu tendiere, Seelsorgende als fest integrierte Bestandteile des Systems zu begreifen.12
 
Fehlende Distanz zum Militärapparat
 
In jüngsten Debattenbeiträgen zur Militärseelsorge ist besonders erkennbar geworden, dass die innere Struktur des Arbeitsfeldes entscheidend ist für das systemische Agieren der Militärseelsorge und immer kritisch berücksichtigt werden sollte. Die erforderliche Rollenklarheit und Resistenz gegenüber militärischen Vereinnahmungsversuchen ist bedingt durch innere Verhältnisse. Die Frage, wie sich die Militärseelsorge zwischen Staat, Bundeswehr und Kirche positioniert,13 und der an Militärgeistliche gerichtete Appell, einen „berufsethisch reflektierten Habitus“ zu pflegen, der der Tendenz entgegenwirken soll, sich „mit der Bundeswehr vollumfänglich [zu] identifizieren und die Distanz zum Militärapparat [zu] verlieren“,14 verlangen nach einem umfassenden systemkritischen Blick. Die Verantwortung für die professionsethische Klarheit der Militärseelsorge kann in Anbetracht fragwürdiger struktureller Bedingungen nicht allein und individuell den Militärgeistlichen aufgeladen werden. Vielmehr bedarf es solcher Organisationsstrukturen, die die pastorale Arbeit gegen den Sog des militärischen „Leitsystems“ stärken. Das läuft aber auf die Implementierung synodaler Ordnungselemente hinaus, bestimmt das synodale Prinzip doch nicht grundlos den Aufbau des verfassten Protestantismus im Ganzen.15 Dass der Rat der EKD den Militärbischof beruft, ist eben längst noch keine genügende oder beruhigende Tatsache, wenn zugleich evident ist, dass das Leitungshandeln des auf Zeit gewählten kirchlichen Militärbischofs durch Spannungen mit dem auf einer Dauerstelle handelnden Militärgeneraldekan als Vertreter der Bundeswehrverwaltung in Frage gestellt ist – mitunter bei Personalfragen mit Folgen, die Menschen in ihrer Berufslaufbahn beschädigen, wie die ehemalige Militärpfarrerin Annette Seifert in ihrem Leserbrief vom Juni 2022 anschaulich darstellt.16
 
Strukturelle Aufwertung der Gemeindebasis
 
Eine strukturelle Aufwertung der Gemeindebasis der Militärseelsorge – sprich: die Ausstattung der evang. Soldatinnen und Soldaten mit geregelten Mitverantwortungs- und Mitentscheidungsrechten – würde für ein höheres Maß an Transparenz sorgen. Wenn ein früherer Militärgeistlicher sich eines Evang. Kirchenamtes erinnert, „das über allem stand und immer Recht hatte“ (also wohl auch gegenüber dem Militärbischof) deutet das nicht nur eine Aufkündigung der Gleichheit im ordinierten Amt an, sondern auch eine Entmündigung aller von seinem Handeln betroffenen getauften Soldatinnen und Soldaten und ihrer Familien, die nicht durch von ihnen gewählte Vertreter*innen in Militärseelsorgegremien mitbestimmen können.17
 
Wenn man Militärpfarrer Thiels18 Einlassungen in seinem Leserbrief folgt, dann dürften sich ausschließlich Hauptamtliche aus der Militärseelsorge über die evang. Militärseelsorge, aber nicht einmal evang. Soldatenfamilien oder interessierte Christenmenschen äußern. Argumentativ gestützte Kritik sollte m.E. von allen Verantwortlichen der evang. Militärseelsorge begrüßt werden, da es protestantische Grundüberzeugung ist, allen mündigen Angehörigen der Kirche die Aufgabe der „Kirchenverbesserung“ anzuvertrauen,19 denn sonst läuft die evang. Militärseelsorge Gefahr totalitär zu agieren.
 
Hoher Bedarf an unabhängiger Begleitung
 
Im Arbeitsfeld Seelsorge für unter Einsatz- und Dienstfolgen leidende Menschen (ASEM) finanziert die evang. Militärseelsorge gemäß Peuckmann mit 3,8 Mio. jährlich Angebote für Soldaten, die seelisch z.B. durch Auslandseinsätze verwundet wurden; diese Angebote seien „nicht mit Seelsorge im Sinne religiöser Kommunikation zu verwechseln“, sie seien „eher als eine Form tiergestützter Therapie im seelsorglichen Rahmen“ zu verstehen.20 Aus der Arbeit von ASEM sei zu ersehen, „welch weitreichende Schatten die gegenwärtige Einsatzpraxis der Bundeswehr wirft und dass vor diesem Hintergrund neue und vor allem kreative Betreuungsangebote gefragt sind“.21 Peuckmann kritisiert allerdings, neben dem kirchlich getragenen Angebot ASEM gebe es in der Bundeswehr selbst „ähnliche Betreuungsformate […] bislang nicht“, obwohl „die Nachfrage nach Seminaren, Kursen oder Freizeiten […] aufseiten der Bundeswehrangehörigen ungemein hoch“ 22 sei.
 
Gravierend ist ein zweiter Einwand: Bewahrt sich die Militärseelsorge neben diesem Engagement den Freiraum, in kritischer Solidarität die Einsätze und deren konkrete Umstände zu hinterfragen? Bleibt real genügend Unabhängigkeit, Verhältnisse zu problematisieren, durch die körperliche und seelische Einsatzschäden entstehen? Im Zusammenhang von ASEM sei die Gefahr erkennbar, die Militärseelsorge könne „zahnlos“ werden, ließe sie sich durch die äußeren Umstände dazu bringen, nicht mehr „selbstbewusst Partei für die Betroffenen [zu] ergreifen“ und „Schwierigkeiten öffentlich auch gegenüber politischen und militärischen Verantwortungsträgern“ nicht mehr anzusprechen. Wolle sie ihrem Auftrag treu sein, müsse sie „kritisch auf die Gesamtzusammenhänge ihrer Arbeit hinweisen“.23
 
Kritisch zu verstehen, was innerhalb eines kirchlichen Arbeitsfeldes geschieht, ist eine notwendige Zielsetzung für jeden kirchlichen Dienst, besonders aber für das sensible Agieren im Grenzbereich zu Staat und Militär. Emotional aufgeladenes Abweisen von Anfragen zerstört genau dieses Notwendige. Erregte Abwehrreaktionen von Militärgeistlichen gegen gefühlte Einmischung könnten gerade ein Hinweis sein, dass kritisches Hinsehen dringend geboten ist.24
 
2. Lebenskundlicher Unterricht unter Druck: Obligatorischer Ethikunterricht zusätzlich neben dem LKU
 
Ein weiteres zentrales Thema des Tagungsbandes ist der Lebenskundliche Unterricht (LKU), der nicht Gegenstand des Militärseelsorgevertrags, sondern nur Bundeswehr-intern durch zentrale Dienstvorschriften geregelt ist.25 Durch die Einführung eines zusätzlichen verpflichtenden Ethikunterrichts neben dem bestehenden LKU sieht sich Militärdekan Ackermann apologetisch herausgefordert. Gerade weil man diese Implementierung eines zusätzlichen Ethikunterrichts auch als Kritik am bestehenden berufsethischen LKU durch Militärseelsorgende interpretieren kann, spitzt Ackermann zu: „Daher darf der Lebenskundliche Unterricht nicht als Veranstaltung der Militärseelsorge missverstanden werden. Der Lebenskundliche Unterricht ist explizit kein Religionsunterricht. Er bildet vielmehr eine wesentliche und unverzichtbare Ergänzung zu dem, was im Rahmen der Inneren Führung an Vermittlung von gesellschaftlichem Orientierungswissen geschieht.“26
 
Während sich Militärdekan Ackermann apologetisch scharf von jeglicher Parallele zu schulischem Religionsunterricht über religiöse, kulturelle, bio-, friedens- oder sozialethische Themen abgrenzt, geht Peuckmann unbefangener mit eventuellen Möglichkeiten des LKU um: „Es kann über Kirche, Glaube und Religion gesprochen werden, auch kann Seelsorge an solch einem Ort stattfinden.“27 Gemäß Peuckmann ist die Militärseelsorge „qua ihres ‚Wächteramtes‘ herausgefordert, zu bestimmten Entwicklungen – auch öffentlich – Stellung zu nehmen. Gerade der Lebenskundliche Unterricht, den die Militärseelsorge auf Anfrage der Bundeswehr anbietet und durchführt, stellt ein anschauliches Beispiel dieser Mehrdimensionalität dar. Er ist ‚ein Exempel Öffentlicher Theologie‘, weil dort einerseits strukturelle und andererseits inhaltliche Ebenen verschwimmen.“28
 
Peuckmanns Versuch, eine Verortung der Militärseelsorge im Bereich Öffentlicher Theologie am Beispiel des LKU zu plausibilisieren, folgt einem Impuls des früheren Militärbischofs Rink und seines Referenten Klaus Beckmann.29 Er steht aber sichtbar in Spannung zu Militärdekan Ackermanns apologetischer Distanzierung von jeglicher kirchlichen Prägung des LKU: „Der Lebenskundliche Unterricht ist auch nicht mit dem Religionsunterricht gleichzusetzen, geschweige denn eine Form der Religionsausübung im Sinne von § 36 Soldatengesetz. Er ist vielmehr eine berufsethische Unterrichtung“.30 Man fragt sich, ob Ackermann hier vielleicht ein Zerrbild von Religionsunterricht vor Augen hat.31
 
Peuckmann kann sich mit seinem „kirchennahen“ Verständnis des LKU auf die Rechtsprechung berufen: Gemäß einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vom 24. April 2006 sind Militärgeistliche in ihrem Dienst „überwiegend durch religiöse Beweggründe bestimmt“ und dadurch „nicht unerheblich von den übrigen im Staatsdienst tätigen Personen“ unterschieden. Das begründet, so das Gericht, den Ausschluss der Militärgeistlichen von der Personalvertretung der Beamten (Az 33 K 6303/05.PVB).32 Das muss offenkundig auch für die Rolle der Militärgeistlichen im LKU gelten, macht dieser quantitativ doch einen großen Teil der regelmäßigen Arbeitsbelastung von Militärgeistlichen aus. Folgte man im Sinne Ackermanns konsequent der innerhalb der Militärseelsorge häufiger zu vernehmenden Annahme, der Pfarrer habe im LKU nur „den staatlichen Hut auf“, was ihn dazu zwinge, seine religiösen Beweggründe zu verbergen, so ließe sich die Verweigerung beamtenrechtlicher Privilegien nicht rechtfertigen.
 
Gefahr der Selbstsäkularisierung
 
Militärdekan Ackermanns Argumentation könnte bei fortschreitender Unterversorgung an Geistlichen dazu führen, dass die Landeskirchen sich künftig sehr zurückhalten werden, Geistliche für die Militärseelsorge freizustellen. Wenn die Erteilung von LKU in rein säkularer Ausrichtung einen großen Teil der Arbeitszeit der Militärgeistlichen binde, könnten landeskirchliche Personalabteilungen bei zunehmendem Pfarrpersonenmangel abwägen, ob ihnen die Erfüllung des staatlichen Curriculums bei der Bundeswehr wichtiger ist als die Besetzung offener Gemeindepfarrstellen. Es verwundert, dass ausgerechnet der für Theologie und Seelsorge zuständige Militärdekan Ackermann eine Selbstsäkularisierung seines Arbeitsfeldes forciert und in letzter Konsequenz der Selbstreduktion des geistlichen Auftrags der Militärseelsorge das Wort redet.
 
Der Beschluss des Kirchenkreises Jülich zur Reintegration der Seelsorge an Soldaten in kirchliche Strukturen macht für den LKU folgenden Reformvorschlag: Auf der Basis von Gestellungsverträgen bietet die Kirche ihre Mitwirkung am LKU an. Die aktuell gültige militärische Zentrale Dienstvorschrift sei durch neue Regelungen zu ersetzen. Der LKU solle nicht mehr nach dem Curriculum des Bundesministeriums für Verteidigung erteilt werden, sondern nach kirchlichen Grundsätzen, die mit dem BMVg zu vereinbaren wären.33
 
Meike Wanner betont, der LKU, der theoretisch eine Doppelstunde pro Monat zwar obligatorisch, aber nicht beurteilungsrelevant von allen Soldaten während der Dienstzeit besucht werden müsse, lebe folglich nur von der freien Mitarbeit der Soldaten:34 „Diese werden zwar zum Unterricht hin befohlen, die Militärseelsorger erteilen den Unterricht auch in Absprache und Kooperation mit den militärischen Vorgesetzten und erhalten von militärischer Seite die dafür notwendige Infrastruktur, sie sind aber frei von militärischen Befehlen, auch wenn die Bundeswehr Einfluss auf Inhalte und Durchführung des LKU nehmen kann und z.B. durch Vereinbarung eines Curriculums auch tatsächlich nimmt.“35 Im Blick auf die Frage, ob der LKU verpflichtend oder freiwillig sein solle, beruft sich Wanner auf empirische Erkenntnisse zum LKU aus dem Jahr 2010: Die Mehrheit der Befragten spreche sich für Freiwilligkeit aus.36 Hinsichtlich der Einschätzung der Nützlichkeit des LKU durch Soldaten referiert Wanner: Es „bewerten lediglich 37 bzw. 35 Prozent der Befragten den LKU als nützlich für den Dienstalltag und mögliche Einsätze.“37 Das Ziel der Stärkung der moralischen Reflexions- und Urteilsfähigkeit der Soldaten sei nur schwer zu erreichen, wenn der Unterricht nicht selten anderen dienstlichen Verpflichtungen untergeordnet oder sogar geopfert werde.38 Wanner deutet an, dass der LKU oft gar nicht stattzufinden scheint. Ähnlich Peuckmann, der kritisiert, dass der theoretischen Wertschätzung des LKU in der Praxis eine faktische Geringschätzung gegenüber stünde, da die zwei Pflichtstunden pro Monat, auf die jeder Soldat Anspruch habe, von den Militärgeistlichen nicht überall erteilt würden, obwohl mehr als 50% der Arbeitszeit von Militärgeistlichen angeblich auf den LKU entfielen; während Corona sei phasenweise aller LKU ausgefallen, anstatt auf digitale Kanäle auszuweichen.39
 
Statistik erteilten Unterrichts – eine Fehlanzeige
 
Es wäre wichtig zu erfahren, ob der LKU von militärischer Seite selten gewünscht bzw. nicht angefordert wird oder ob Militärgeistliche ihn nicht anbieten bzw. vernachlässigen. Im Zusammenhang des LKU ist die Frage 28(e) einer „Kleinen Anfrage“ im Bundestag interessant: „Wie viele Stunden LKU wurden 2018 durch staatlich finanzierte Militärseelsorgende gehalten und wie viele davon wurden von katholischen und wie viele von evangelischen Militärseelsorgenden gehalten (…)?“40 Die Antwort des BMVg lautet: „Dazu werden keine Daten erhoben.“41
 
Angesichts der Beschreibung des LKU durch Ackermann und Wanner als obligatorische Ergänzung zu dem, was im Rahmen der Inneren Führung an Vermittlung von gesellschaftlichem Orientierungswissen pflichtgemäß zwei Stunden pro Monat für alle Soldaten zu geschehen hat, überrascht diese Antwort sehr, denn bei der Bundeswehr gibt es im Prinzip zu vielem, was der Armee wichtig sein könnte, statistische Erhebungen. Man stelle sich vor, Kultusbehörden antworteten analog zum BMVg auf die Frage nach einer Statistik über erteilten bzw. entfallenen Pflichtunterricht an staatlichen Schulen, dazu würden keine Daten erhoben; es wäre mit Proteststürmen zu rechnen. Ferner ist es eine Frage der Transparenz, gehaltenen oder entfallenen LKU statistisch zu erfassen, denn wenn der LKU als unverzichtbare Dienstpflicht sowohl für Militärgeistliche als auch für Soldaten gilt, dann sollte der Dienstherr schon aus Gründen der Bedarfsplanung einen Überblick haben, ob bzw. wie oft er stattfindet. Wenn das BMVg dazu keine Daten kennt, aber Planstellen vorhält, könnte dies den Bund der Steuerzahler oder den Bundesrechnungshof auf den Plan rufen. Unklar ist, ob die von Militärbischof Bernhard Felmberg in den Raum gestellte Zahl von ca. 11.000 Stunden LKU eine politische Sollgröße oder eine statistisch valide erhobene Zahl ist. Da nach Auskunft des Staatssekretärs keine Daten zum LKU erhoben werden, irritiert dies.
 
Statt kritisch zu fragen, warum der LKU der Militärgeistlichen als berufsethischer Unterricht wohl nicht mehr als ausreichend, sondern als ergänzungsbedürftig angesehen wird, wünscht Militärbischof Felmberg laut einer veröffentlichten Aussage, Militärgeistliche sollten nicht nur LKU erteilen, sondern bietet öffentlich an, die evang. Militärseelsorge könne innerhalb des staatlich angeordneten zusätzlichen Ethikunterrichts „gern auch stärker Verantwortung übernehmen“42. Hier sollte die EKD alarmiert sein: Wenn Militärgeistliche neben dem berufsethischen LKU noch zusätzlich Aufgaben in einem staatlichen Ethikunterricht übernehmen sollen, gehe dies zulasten der Kernaufgaben, für die laut Militärseelsorgevertrag Militärgeistliche von ihren Landeskirchen freigestellt werden: „Aufgabe des Militärgeistlichen ist der Dienst am Wort und Sakrament und die Seelsorge.“43
 
Fazit
 
Sofern sich die evang. Militärseelsorge weiterentwickeln will, wäre wohl ein geringeres Maß an offizieller Repräsentation zugunsten einer Stärkung der Basis sinnvoll. Grundlegende Strukturfragen dürfen nicht tabuisiert werden, schon deshalb, weil die innere Freiheit des Arbeitsfeldes sich entscheidend auf die Art auswirkt, wie Menschen in Uniform begleitet und im Gewissen gestärkt werden können. Eine strukturelle Weiterentwicklung im Sinne der eigentlichen Kernaufgaben des Militärseelsorgevertrags (Dienst am Wort und Sakrament, Seelsorge) müsste in einem offenen Diskurs ermöglicht werden. Dass für den kirchlichen und systemunabhängigen Dienst an Uniformträgern die professionelle Distanz zum soldatischen Milieu und dessen Korpsgeist unerlässliche Voraussetzung ist – für die der Begriff des „Kameraden“ sicherlich nicht steht –, sollte zunächst einmal offen und selbstkritisch thematisiert und nicht durch Diskursverweigerung unterbunden werden.
 
Anmerkungen
 
1 Rink, Sigurd: Auf Spannung angelegt. Zur Transformation der Seelsorge in der Bundeswehr, in: Isolde Karle/Niklas Peuckmann (Hg.): Seelsorge in der Bundeswehr. Perspektiven aus Theorie und Praxis, Leipzig 2020, 205-219.
 
2 Starke Gemeinschaft und wichtige Stütze, in: Die Bundeswehr. Das Magazin des Deutschen BundeswehrVerbands, August 2020, 18.
 
3 Ebd.
 
4 Vgl. ebd.
 
5 Vgl. www.ekd.de/6-tagung-der-synode-der-ekd-2019-49304.htm (am 02.01.2021).
 
6 Vgl. Protokollbuch der Ordentlichen Kreissynode Jülich vom 03. Oktober 2020 in Düren zu TOP 5c) Militärseelsorge.
 
7 Vgl. www.ev.rub.de/mam/pt-karle/tagung_militärseelsorge_flyer.pdf (abgerufen am 27.12.2020). Dazu erschien der inhaltlich erweiterte Tagungsband: Isolde Karle/Niklas Peuckmann (Hg.): Seelsorge in der Bundeswehr. Perspektiven aus Theorie und Praxis, Leipzig 2020.
 
8 Werner Schiewek, Heroismus in der Seelsorge. Über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen einer seelsorgerlichen Ressource in Militär und Polizei, in: Karle/Peuckmann, a.a.O. (2020), 85-98.
 
9 Vgl. Klaus Beckmann: „… dass sie noch einen anderen Herrn haben“. Seelsorge in der Bundeswehr zwischen Autonomie und Abhängigkeit, in: Karle/Peuckmann, a.a.O. (2020), 167-186; 181.
 
10 Ebd.
 
11 Vgl. Sylvie Thonak/Gerd Theißen: Einleitung, in: Dies./ders.: Militärseelsorge – das ungeliebte Kind protestantischer Friedensethik?, Berlin/Münster 2020, 9-23; v.a. 13.
 
12 Vgl. Karle/Peuckmann, Seelsorge in der Lebenswelt Bundeswehr. Poimenische Leitlinien der Militärseelsorge, in: dies, a.a.O. (2020), 17-37; 34f.
 
13 „Wie kann die Militärseelsorge mit ihren komplexen Beziehungen zum Staat und zum Militär als Kirche in der Gesellschaft profiliert werden? Wo steht sie innerhalb der Landschaft kirchlicher Handlungsfelder? Gehört sie als Seelsorge und damit als Muttersprache der Kirche in ihr Zentrum oder ist sie womöglich mittlerweile zu einer ecclesiola extra ecclesiam, einer kleinen Kirche außerhalb der Kirche geworden?“: Niklas Peuckmann: Militärseelsorge und Öffentliche Theologie. Überlegungen zur Verortung der Seelsorge in der Bundeswehr, in: Karle/Peuckmann, a.a.O. (2020), 257-272; 259.
 
14 So Niklas Peuckmann: In kritischer Solidarität. Eine Theorie der Militärseelsorge, Leipzig 2022, 219.
 
15 Vgl. die überarbeitete Fassung von: Sylvie Thonak, Ecclesiola extra ecclesiam? Zur Zukunft der evangelischen Militärseelsorge, in: Dies./Theißen (2020), a.a.O., 191-204; v.a. 193f.
 
16 Vgl. kritisch die Leserbriefe von Militärpfarrer Thomas Thiel (DPfBl 2022, 370f) und der ehemaligen Militärpfarrerin Annette Seifert, a.a.O., 372f.
 
17 Vgl. den Leserbrief von Pastor i.R. Erhard Graf, DPfBl 2022, 371f. Welche persönlichen Beschädigungen durch intransparente Leitungsstrukturen entstehen können, macht der daran anschließend abgedruckte Leserbrief von Pfarrerin Annette Seifert auf bestürzende Weise deutlich.
 
18 Vgl. Thiel, a.a.O., 371.
 
19 Vgl. bes. zur Entfaltung dieses Gedankens bei Schleiermacher: Wichmann von Meding, Kirchenverbesserung, Bielefeld 1986.
 
20 Peuckmann, a.a.O., 260f.
 
21 Vgl. Niklas Peuckmann, „Der Herr Wolf ist tot“. Mensch-Tier-Beziehungen in der kirchlichen Praxis, in: Pastoraltheologie 111 (2022), 35-48, hier: 40.
 
22 Vgl. ebd.
 
23 Vgl. Peuckmann, In kritischer Solidarität, a.a.O., 259f.
 
24 Siehe z.B. den Leserbrief von Militärpfarrer Thiel, a.a.O., 371.
 
25 Einschlägige Belege finden sich bei Meike Wanner: Lebenskundlicher Unterricht in der Bundeswehr, in: Karle/Peuckmann (Hg.) (2020), a.a.O., 245-256; 245-248.
 
26 Dirck Ackermann: Ethische Bildung in der Bundeswehr auf neuen Wegen? Militärseelsorge als Gesprächs- und Kooperationspartner in der Persönlichkeitsbildung von Soldatinnen und Soldaten, a.a.O., 235-243, hier: 241.
 
27 Niklas Peuckmann: Militärseelsorge und Öffentliche Theologie. Überlegungen zur Verortung der Seelsorge in der Bundeswehr, in: Karle/ders. (Hg.) (2020), a.a.O., 257-272; 269.
 
28 Peuckmann, Militärseelsorge und Öffentliche Theologie (2020), a.a.O., 268f.
 
29 Vgl. Sigurd Rink/Klaus Beckmann, Fenster ins Zivile. Überlegungen zu einer künftigen islamischen Militärseelsorge, in: DtPfBl 119 (2019), 127-131, hier: 129.
 
30 Ackermann (2020), a.a.O., 238.
 
31 In Hamburg wird er inzwischen interreligiös-dialogisch gestaltet. Vgl. https://li.hamburg.de/religion/material/3847950/art-einleitung/
 
32 Vgl. Beckmann (2020), a.a.O., 171 Anm. 18.
 
33 Vgl. Protokollbuch Kreissynode Jülich zu TOP 5c) Militärseelsorge.
 
34 Vgl. Wanner (2020), a.a.O., 247f.
 
35 Wanner (2020), a.a.O., 248.
 
36 Siehe Wanner (2020), a.a.O., 249f.
 
37 Wanner (2020), a.a.O., 251.
 
38 Siehe Wanner (2020), a.a.O., 253.
 
39 Vgl. Peuckmann (2022), a.a.O., 248.
 
40 Kleine Anfrage der Abgeordneten Tobias Pflüger, Christine Buchholz, Dr. Alexander S. Neu und der Fraktion DIE LINKE. Militärseelsorge bei der Bundeswehr. Deutscher Bundestag. Drucksache 19/21067 vom 14.07.2020 , hier: Frage 28.
 
41 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Tobias Pflüger, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Vom 7. Juli 2020. BT-Drucksache 19/21067 Militärseelsorge bei der Bundeswehr.
 
42 www.domradio.de/themen/kirche-und-
politik/2021-03-14/vorgesetzte-haben-einen-dienstkonflikt-militaerbischof-kritisiert-geplanten-ethikunterricht-der (abgerufen am 14.03.2021).
 
43 Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit der Evang. Kirche in Deutschland zur Regelung der evang. Militärseelsorge: BGBl 1957 II, 702ff; VMBl 1957, 757, abgekürzt: MSV (1957) Art. 4.
 
Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 8/2022
 
1 Kommentar zu diesem Artikel
13.08.2022
Ein Kommentar von Dr. Bald, Detlef

Hier zwei Texte von Sylvie Thonak, erschienen im Juli und August 2022

Deutsches Pfarrerblatt, August 2022, Autorin: Sylvie Thonak

(1.) Zur bleibenden Reformbedürftigkeit der evangelischen Militärseelsorge - Die Gefahr von Heroismus und Selbstsäkularisierung

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar sortiert sich der kirchliche Friedensdiskurs neu. Die Erfahrungen und Sichtweisen der Militärseelsorge werden mit zunehmender Militarisierung der europäischen Politik künftig innerhalb der Gesamtkirche wohl stärker beachtet werden müssen, meint Sylvie Thonak. Sie hatte in der Märzausgabe des Deutschen Pfarrerinnen- und Pfarrerblatts eine Reform der evangelischen Militärseelsorge gefordert und reagiert hier auf ihre Kritiker.

Der vom Rat der EKD berufene Militärbischof Sigurd Rink nannte in einem seiner letzten Vorträge vor seinem Ausscheiden aus diesem Amt die Militärseelsorge ein „krankes System“1, da staatliche und kirchliche Strukturen in ihm in unausgeglichener Spannung zueinander stünden. Zwei gegenläufige Vorgänge aus dem Jahr 2020 können das beleuchten und bringen die Reformnotwendigkeit der evang. Militärseelsorge ans Licht und hoffentlich auf die Tagesordnung protestantischer Synoden:

Im August 2020 wurde publik, dass Militärgeneraldekan Heimer kurzfristig das Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr zu einer „Truppenkameradschaft Militärseelsorge“2 deklarierte. Dies geschah nicht in einem Privathaus, sondern im Haus des Evang. Kirchenamtes für die Bundeswehr in Berlin. Dabei sprach Heimer vom „Militärkirchenamt“3. Das Ereignis hat ihm zufolge eine „historische Dimension“ – man sei nun offiziell Kameraden der Soldaten.4 Es zeigt sich hier eine Bestrebung, Militärseelsorge weniger als Gegenüber, sondern als Teil der „Truppe“ zu begreifen.5

In genau entgegengesetzte Richtung weist ein Beschluss der Kreissynode des Kirchenkreises Jülich an 3. Oktober 2020 im Nachgang zur EKD-Friedenssynode 2019 zum Thema „Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens“5: Die evangelische Militärseelsorge solle den Auftrag zur Seelsorge der Kirche an Soldaten und Soldatinnen sowie ihren Familien eigenständig und frei von staatlichen Einschränkungen als kirchliche Arbeit ausüben. Die Kreissynode des Kirchenkreises Jülich beschloss, die Landessynode der Evang. Kirche im Rheinland aufzufordern, diese möge den Rat und die Synode der Evang. Kirche in Deutschland bitten, in Verhandlungen mit der Bundesregierung eine Revision der Regelungen zur evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr zu bewirken, um die Seelsorge an Soldatinnen und Soldaten in die landeskirchlichen Strukturen („personale Seelsorgebereiche“ der Ortsgemeinden oder Funktionspfarrämter der Landeskirchen, Presbyterien und Synoden) zu reintegrieren.6

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24.2.2022 sortiert sich der kirchliche Friedensdiskurs neu; die Erfahrungen und Sichtweisen der Militärseelsorge werden mit zunehmender Militarisierung der (europäischen) Politik künftig innerhalb der Gesamtkirche wohl stärker beachtet werden.

Vor dieser „Zeitenwende“ veranstaltete die Ruhr-Universität Bochum am 20./21.11.2019, gefördert durch das Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr, ein Symposium zum Thema Seelsorge in der Lebenswelt Bundeswehr.7 Im Nachgang zur o.g. „Zeitenwende“ ist es dringend geboten, das Verhältnis von Kirche und Bundeswehr neu zu bedenken. Hier werden im Anschluss an das Militärseelsorge-Symposium zwei Problemkreise diskutiert: (1.) Die Gefahr „heroischer Kontaminierung“ von Seelsorgenden und ein damit einhergehender Rollenkonflikt bei Militärgeistlichen, (2.) die Problematik des lebenskundlichen Unterrichts als Aufgabe von Militärgeistlichen und die Tendenz zur Selbstsäkularisierung.

Gefahr von Heroismus und Rollenkonflikten in der evang. Militärseelsorge

Polizeiseelsorger Werner Schiewek befasst sich in seinem Beitrag zum Thema Heroismus in der Seelsorge – über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen einer seelsorgerlichen Ressource in Militär und Polizei mit der besonderen Gefahr der „heroischen Kontaminierung“ von Seelsorgenden in diesen Organisationen. Sie resultiere aufseiten der Seelsorgenden nicht nur aus der thematischen Beschäftigung mit militärischen oder polizeilichen Fragen und einem daraus erwachsenden Verständnis für die spezifischen Aufgaben und Tätigkeiten, sondern besonders aus einer gemeinsam geteilten Lebenswelt und damit einhergehenden gemeinsamen Erfahrungen. Dies hänge mit der „ökosystemischen Einbettung“ der Seelsorge und mit der wechselseitigen Durchdringung von Kontext und Seelsorge zusammen.8

Der ehemalige Militärdekan Klaus Beckmann beschreibt die strukturelle Anfälligkeit von Militärgeistlichen für Rollenkonflikte. Aus eigener Beobachtung weiß er, dass das hierarchisch gegliederte militärische Gefüge zwar „vordergründig weniger ‚Konfliktfallen‘ als das komplexe System Kirchengemeinde“ stelle. Eigene Nähe zum Kommandeur könne dem Militärgeistlichen „eine Komfortzone schaffen, unter – meist unausgesprochenem, gleichwohl dem Vertrauen massiv abträglichen – Missfallen der Soldaten des Standortes, die kolportieren mögen, der Pfarrer oder die Pfarrerin sitze dem Kommandeur ‚auf dem Schoß‘.“9 Beckmann formuliert pointiert: „So sehr es mancher Militärgeistliche erfahrungsbedingt auch begrüßt, in einem ‚gremienprotestantisch‘ unberührten Bereich zu arbeiten, tendiert die straff gegliederte ‚unkirchliche‘ Umgebung ihrer Natur gemäß doch dazu, ein ständiges Angewiesensein auf die Gunst der militärischen Hierarchie zu vermitteln.“10

Auch Isolde Karle und Niklas Peuckmann betonen, wie wichtig es sei, die stets gefährdete Unabhängigkeit der Militärseelsorge zu erhalten und zu fördern. Jede „Bereichsseelsorge“, mithin jede Seelsorge, die in einer nicht-religiösen Institution angesiedelt ist, stehe in der Gefahr, von der Leitlogik der gastgebenden Institution absorbiert zu werden. Das Soziale sei in aller Regel stärker als das Bewusstsein, deshalb ließen sich Seelsorgende leicht in den Sog der Systemlogik ziehen, die in einer Institution vorherrsche. In der Bundeswehr scheine diese Dynamik besonders ausgeprägt zu sein. Das habe einerseits damit zu tun, dass die Militärseelsorge immer noch als Stiefkind11 von Kirche und Theologie betrachtet werde und die EKD mit ihrem Fokus auf pazifistische Friedenslösungen den Problemen und Herausforderungen, die sich der Bundeswehr stellten, nicht immer gerecht werde. Und es habe mit einer Institution zu tun, die ausgeprägter als andere Institutionen, in denen Seelsorgende tätig sind, durch hierarchische Strukturen bestimmt sei und zugleich dazu tendiere, Seelsorgende als fest integrierte Bestandteile des Systems zu begreifen.12

Fehlende Distanz zum Militärapparat

In jüngsten Debattenbeiträgen zur Militärseelsorge ist besonders erkennbar geworden, dass die innere Struktur des Arbeitsfeldes entscheidend ist für das systemische Agieren der Militärseelsorge und immer kritisch berücksichtigt werden sollte. Die erforderliche Rollenklarheit und Resistenz gegenüber militärischen Vereinnahmungsversuchen ist bedingt durch innere Verhältnisse. Die Frage, wie sich die Militärseelsorge zwischen Staat, Bundeswehr und Kirche positioniert,13 und der an Militärgeistliche gerichtete Appell, einen „berufsethisch reflektierten Habitus“ zu pflegen, der der Tendenz entgegenwirken soll, sich „mit der Bundeswehr vollumfänglich [zu] identifizieren und die Distanz zum Militärapparat [zu] verlieren“,14 verlangen nach einem umfassenden systemkritischen Blick. Die Verantwortung für die professionsethische Klarheit der Militärseelsorge kann in Anbetracht fragwürdiger struktureller Bedingungen nicht allein und individuell den Militärgeistlichen aufgeladen werden. Vielmehr bedarf es solcher Organisationsstrukturen, die die pastorale Arbeit gegen den Sog des militärischen „Leitsystems“ stärken. Das läuft aber auf die Implementierung synodaler Ordnungselemente hinaus, bestimmt das synodale Prinzip doch nicht grundlos den Aufbau des verfassten Protestantismus im Ganzen.15 Dass der Rat der EKD den Militärbischof beruft, ist eben längst noch keine genügende oder beruhigende Tatsache, wenn zugleich evident ist, dass das Leitungshandeln des auf Zeit gewählten kirchlichen Militärbischofs durch Spannungen mit dem auf einer Dauerstelle handelnden Militärgeneraldekan als Vertreter der Bundeswehrverwaltung in Frage gestellt ist – mitunter bei Personalfragen mit Folgen, die Menschen in ihrer Berufslaufbahn beschädigen, wie die ehemalige Militärpfarrerin Annette Seifert in ihrem Leserbrief vom Juni 2022 anschaulich darstellt.16

Strukturelle Aufwertung der Gemeindebasis

Eine strukturelle Aufwertung der Gemeindebasis der Militärseelsorge – sprich: die Ausstattung der evang. Soldatinnen und Soldaten mit geregelten Mitverantwortungs- und Mitentscheidungsrechten – würde für ein höheres Maß an Transparenz sorgen. Wenn ein früherer Militärgeistlicher sich eines Evang. Kirchenamtes erinnert, „das über allem stand und immer Recht hatte“ (also wohl auch gegenüber dem Militärbischof) deutet das nicht nur eine Aufkündigung der Gleichheit im ordinierten Amt an, sondern auch eine Entmündigung aller von seinem Handeln betroffenen getauften Soldatinnen und Soldaten und ihrer Familien, die nicht durch von ihnen gewählte Vertreter*innen in Militärseelsorgegremien mitbestimmen können.17

Wenn man Militärpfarrer Thiels18 Einlassungen in seinem Leserbrief folgt, dann dürften sich ausschließlich Hauptamtliche aus der Militärseelsorge über die evang. Militärseelsorge, aber nicht einmal evang. Soldatenfamilien oder interessierte Christenmenschen äußern. Argumentativ gestützte Kritik sollte m.E. von allen Verantwortlichen der evang. Militärseelsorge begrüßt werden, da es protestantische Grundüberzeugung ist, allen mündigen Angehörigen der Kirche die Aufgabe der „Kirchenverbesserung“ anzuvertrauen,19 denn sonst läuft die evang. Militärseelsorge Gefahr totalitär zu agieren.

Hoher Bedarf an unabhängiger Begleitung

Im Arbeitsfeld Seelsorge für unter Einsatz- und Dienstfolgen leidende Menschen (ASEM) finanziert die evang. Militärseelsorge gemäß Peuckmann mit 3,8 Mio. jährlich Angebote für Soldaten, die seelisch z.B. durch Auslandseinsätze verwundet wurden; diese Angebote seien „nicht mit Seelsorge im Sinne religiöser Kommunikation zu verwechseln“, sie seien „eher als eine Form tiergestützter Therapie im seelsorglichen Rahmen“ zu verstehen.20 Aus der Arbeit von ASEM sei zu ersehen, „welch weitreichende Schatten die gegenwärtige Einsatzpraxis der Bundeswehr wirft und dass vor diesem Hintergrund neue und vor allem kreative Betreuungsangebote gefragt sind“.21 Peuckmann kritisiert allerdings, neben dem kirchlich getragenen Angebot ASEM gebe es in der Bundeswehr selbst „ähnliche Betreuungsformate […] bislang nicht“, obwohl „die Nachfrage nach Seminaren, Kursen oder Freizeiten […] aufseiten der Bundeswehrangehörigen ungemein hoch“ 22 sei.

Gravierend ist ein zweiter Einwand: Bewahrt sich die Militärseelsorge neben diesem Engagement den Freiraum, in kritischer Solidarität die Einsätze und deren konkrete Umstände zu hinterfragen? Bleibt real genügend Unabhängigkeit, Verhältnisse zu problematisieren, durch die körperliche und seelische Einsatzschäden entstehen? Im Zusammenhang von ASEM sei die Gefahr erkennbar, die Militärseelsorge könne „zahnlos“ werden, ließe sie sich durch die äußeren Umstände dazu bringen, nicht mehr „selbstbewusst Partei für die Betroffenen [zu] ergreifen“ und „Schwierigkeiten öffentlich auch gegenüber politischen und militärischen Verantwortungsträgern“ nicht mehr anzusprechen. Wolle sie ihrem Auftrag treu sein, müsse sie „kritisch auf die Gesamtzusammenhänge ihrer Arbeit hinweisen“.23

Kritisch zu verstehen, was innerhalb eines kirchlichen Arbeitsfeldes geschieht, ist eine notwendige Zielsetzung für jeden kirchlichen Dienst, besonders aber für das sensible Agieren im Grenzbereich zu Staat und Militär. Emotional aufgeladenes Abweisen von Anfragen zerstört genau dieses Notwendige. Erregte Abwehrreaktionen von Militärgeistlichen gegen gefühlte Einmischung könnten gerade ein Hinweis sein, dass kritisches Hinsehen dringend geboten ist.24

2. Lebenskundlicher Unterricht unter Druck: Obligatorischer Ethikunterricht zusätzlich neben dem LKU

Ein weiteres zentrales Thema des Tagungsbandes ist der Lebenskundliche Unterricht (LKU), der nicht Gegenstand des Militärseelsorgevertrags, sondern nur Bundeswehr-intern durch zentrale Dienstvorschriften geregelt ist.25 Durch die Einführung eines zusätzlichen verpflichtenden Ethikunterrichts neben dem bestehenden LKU sieht sich Militärdekan Ackermann apologetisch herausgefordert. Gerade weil man diese Implementierung eines zusätzlichen Ethikunterrichts auch als Kritik am bestehenden berufsethischen LKU durch Militärseelsorgende interpretieren kann, spitzt Ackermann zu: „Daher darf der Lebenskundliche Unterricht nicht als Veranstaltung der Militärseelsorge missverstanden werden. Der Lebenskundliche Unterricht ist explizit kein Religionsunterricht. Er bildet vielmehr eine wesentliche und unverzichtbare Ergänzung zu dem, was im Rahmen der Inneren Führung an Vermittlung von gesellschaftlichem Orientierungswissen geschieht.“26

Während sich Militärdekan Ackermann apologetisch scharf von jeglicher Parallele zu schulischem Religionsunterricht über religiöse, kulturelle, bio-, friedens- oder sozialethische Themen abgrenzt, geht Peuckmann unbefangener mit eventuellen Möglichkeiten des LKU um: „Es kann über Kirche, Glaube und Religion gesprochen werden, auch kann Seelsorge an solch einem Ort stattfinden.“27 Gemäß Peuckmann ist die Militärseelsorge „qua ihres ‚Wächteramtes‘ herausgefordert, zu bestimmten Entwicklungen – auch öffentlich – Stellung zu nehmen. Gerade der Lebenskundliche Unterricht, den die Militärseelsorge auf Anfrage der Bundeswehr anbietet und durchführt, stellt ein anschauliches Beispiel dieser Mehrdimensionalität dar. Er ist ‚ein Exempel Öffentlicher Theologie‘, weil dort einerseits strukturelle und andererseits inhaltliche Ebenen verschwimmen.“28Peuckmanns Versuch, eine Verortung der Militärseelsorge im Bereich Öffentlicher Theologie am Beispiel des LKU zu plausibilisieren, folgt einem Impuls des früheren Militärbischofs Rink und seines Referenten Klaus Beckmann.29 Er steht aber sichtbar in Spannung zu Militärdekan Ackermanns apologetischer Distanzierung von jeglicher kirchlichen Prägung des LKU: „Der Lebenskundliche Unterricht ist auch nicht mit dem Religionsunterricht gleichzusetzen, geschweige denn eine Form der Religionsausübung im Sinne von § 36 Soldatengesetz. Er ist vielmehr eine berufsethische Unterrichtung“.30 Man fragt sich, ob Ackermann hier vielleicht ein Zerrbild von Religionsunterricht vor Augen hat.31

Peuckmann kann sich mit seinem „kirchennahen“ Verständnis des LKU auf die Rechtsprechung berufen: Gemäß einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vom 24. April 2006 sind Militärgeistliche in ihrem Dienst „überwiegend durch religiöse Beweggründe bestimmt“ und dadurch „nicht unerheblich von den übrigen im Staatsdienst tätigen Personen“ unterschieden. Das begründet, so das Gericht, den Ausschluss der Militärgeistlichen von der Personalvertretung der Beamten (Az 33 K 6303/05.PVB).32 Das muss offenkundig auch für die Rolle der Militärgeistlichen im LKU gelten, macht dieser quantitativ doch einen großen Teil der regelmäßigen Arbeitsbelastung von Militärgeistlichen aus. Folgte man im Sinne Ackermanns konsequent der innerhalb der Militärseelsorge häufiger zu vernehmenden Annahme, der Pfarrer habe im LKU nur „den staatlichen Hut auf“, was ihn dazu zwinge, seine religiösen Beweggründe zu verbergen, so ließe sich die Verweigerung beamtenrechtlicher Privilegien nicht rechtfertigen.

Gefahr der Selbstsäkularisierung

Militärdekan Ackermanns Argumentation könnte bei fortschreitender Unterversorgung an Geistlichen dazu führen, dass die Landeskirchen sich künftig sehr zurückhalten werden, Geistliche für die Militärseelsorge freizustellen. Wenn die Erteilung von LKU in rein säkularer Ausrichtung einen großen Teil der Arbeitszeit der Militärgeistlichen binde, könnten landeskirchliche Personalabteilungen bei zunehmendem Pfarrpersonenmangel abwägen, ob ihnen die Erfüllung des staatlichen Curriculums bei der Bundeswehr wichtiger ist als die Besetzung offener Gemeindepfarrstellen. Es verwundert, dass ausgerechnet der für Theologie und Seelsorge zuständige Militärdekan Ackermann eine Selbstsäkularisierung seines Arbeitsfeldes forciert und in letzter Konsequenz der Selbstreduktion des geistlichen Auftrags der Militärseelsorge das Wort redet.

Der Beschluss des Kirchenkreises Jülich zur Reintegration der Seelsorge an Soldaten in kirchliche Strukturen macht für den LKU folgenden Reformvorschlag: Auf der Basis von Gestellungsverträgen bietet die Kirche ihre Mitwirkung am LKU an. Die aktuell gültige militärische Zentrale Dienstvorschrift sei durch neue Regelungen zu ersetzen. Der LKU solle nicht mehr nach dem Curriculum des Bundesministeriums für Verteidigung erteilt werden, sondern nach kirchlichen Grundsätzen, die mit dem BMVg zu vereinbaren wären.33

Meike Wanner betont, der LKU, der theoretisch eine Doppelstunde pro Monat zwar obligatorisch, aber nicht beurteilungsrelevant von allen Soldaten während der Dienstzeit besucht werden müsse, lebe folglich nur von der freien Mitarbeit der Soldaten:34 „Diese werden zwar zum Unterricht hin befohlen, die Militärseelsorger erteilen den Unterricht auch in Absprache und Kooperation mit den militärischen Vorgesetzten und erhalten von militärischer Seite die dafür notwendige Infrastruktur, sie sind aber frei von militärischen Befehlen, auch wenn die Bundeswehr Einfluss auf Inhalte und Durchführung des LKU nehmen kann und z.B. durch Vereinbarung eines Curriculums auch tatsächlich nimmt.“35 Im Blick auf die Frage, ob der LKU verpflichtend oder freiwillig sein solle, beruft sich Wanner auf empirische Erkenntnisse zum LKU aus dem Jahr 2010: Die Mehrheit der Befragten spreche sich für Freiwilligkeit aus.36 Hinsichtlich der Einschätzung der Nützlichkeit des LKU durch Soldaten referiert Wanner: Es „bewerten lediglich 37 bzw. 35 Prozent der Befragten den LKU als nützlich für den Dienstalltag und mögliche Einsätze.“37 Das Ziel der Stärkung der moralischen Reflexions- und Urteilsfähigkeit der Soldaten sei nur schwer zu erreichen, wenn der Unterricht nicht selten anderen dienstlichen Verpflichtungen untergeordnet oder sogar geopfert werde.38 Wanner deutet an, dass der LKU oft gar nicht stattzufinden scheint. Ähnlich Peuckmann, der kritisiert, dass der theoretischen Wertschätzung des LKU in der Praxis eine faktische Geringschätzung gegenüber stünde, da die zwei Pflichtstunden pro Monat, auf die jeder Soldat Anspruch habe, von den Militärgeistlichen nicht überall erteilt würden, obwohl mehr als 50% der Arbeitszeit von Militärgeistlichen angeblich auf den LKU entfielen; während Corona sei phasenweise aller LKU ausgefallen, anstatt auf digitale Kanäle auszuweichen.39

Statistik erteilten Unterrichts – eine Fehlanzeige

Es wäre wichtig zu erfahren, ob der LKU von militärischer Seite selten gewünscht bzw. nicht angefordert wird oder ob Militärgeistliche ihn nicht anbieten bzw. vernachlässigen. Im Zusammenhang des LKU ist die Frage 28(e) einer „Kleinen Anfrage“ im Bundestag interessant: „Wie viele Stunden LKU wurden 2018 durch staatlich finanzierte Militärseelsorgende gehalten und wie viele davon wurden von katholischen und wie viele von evangelischen Militärseelsorgenden gehalten (…)?“40 Die Antwort des BMVg lautet: „Dazu werden keine Daten erhoben.“41

Angesichts der Beschreibung des LKU durch Ackermann und Wanner als obligatorische Ergänzung zu dem, was im Rahmen der Inneren Führung an Vermittlung von gesellschaftlichem Orientierungswissen pflichtgemäß zwei Stunden pro Monat für alle Soldaten zu geschehen hat, überrascht diese Antwort sehr, denn bei der Bundeswehr gibt es im Prinzip zu vielem, was der Armee wichtig sein könnte, statistische Erhebungen. Man stelle sich vor, Kultusbehörden antworteten analog zum BMVg auf die Frage nach einer Statistik über erteilten bzw. entfallenen Pflichtunterricht an staatlichen Schulen, dazu würden keine Daten erhoben; es wäre mit Proteststürmen zu rechnen. Ferner ist es eine Frage der Transparenz, gehaltenen oder entfallenen LKU statistisch zu erfassen, denn wenn der LKU als unverzichtbare Dienstpflicht sowohl für Militärgeistliche als auch für Soldaten gilt, dann sollte der Dienstherr schon aus Gründen der Bedarfsplanung einen Überblick haben, ob bzw. wie oft er stattfindet. Wenn das BMVg dazu keine Daten kennt, aber Planstellen vorhält, könnte dies den Bund der Steuerzahler oder den Bundesrechnungshof auf den Plan rufen. Unklar ist, ob die von Militärbischof Bernhard Felmberg in den Raum gestellte Zahl von ca. 11.000 Stunden LKU eine politische Sollgröße oder eine statistisch valide erhobene Zahl ist. Da nach Auskunft des Staatssekretärs keine Daten zum LKU erhoben werden, irritiert dies.

Statt kritisch zu fragen, warum der LKU der Militärgeistlichen als berufsethischer Unterricht wohl nicht mehr als ausreichend, sondern als ergänzungsbedürftig angesehen wird, wünscht Militärbischof Felmberg laut einer veröffentlichten Aussage, Militärgeistliche sollten nicht nur LKU erteilen, sondern bietet öffentlich an, die evang. Militärseelsorge könne innerhalb des staatlich angeordneten zusätzlichen Ethikunterrichts „gern auch stärker Verantwortung übernehmen“42. Hier sollte die EKD alarmiert sein: Wenn Militärgeistliche neben dem berufsethischen LKU noch zusätzlich Aufgaben in einem staatlichen Ethikunterricht übernehmen sollen, gehe dies zulasten der Kernaufgaben, für die laut Militärseelsorgevertrag Militärgeistliche von ihren Landeskirchen freigestellt werden: „Aufgabe des Militärgeistlichen ist der Dienst am Wort und Sakrament und die Seelsorge.“43

Fazit

Sofern sich die evang. Militärseelsorge weiterentwickeln will, wäre wohl ein geringeres Maß an offizieller Repräsentation zugunsten einer Stärkung der Basis sinnvoll. Grundlegende Strukturfragen dürfen nicht tabuisiert werden, schon deshalb, weil die innere Freiheit des Arbeitsfeldes sich entscheidend auf die Art auswirkt, wie Menschen in Uniform begleitet und im Gewissen gestärkt werden können. Eine strukturelle Weiterentwicklung im Sinne der eigentlichen Kernaufgaben des Militärseelsorgevertrags (Dienst am Wort und Sakrament, Seelsorge) müsste in einem offenen Diskurs ermöglicht werden. Dass für den kirchlichen und systemunabhängigen Dienst an Uniformträgern die professionelle Distanz zum soldatischen Milieu und dessen Korpsgeist unerlässliche Voraussetzung ist – für die der Begriff des „Kameraden“ sicherlich nicht steht –, sollte zunächst einmal offen und selbstkritisch thematisiert und nicht durch Diskursverweigerung unterbunden werden.

Anmerkungen

1 Rink, Sigurd: Auf Spannung angelegt. Zur Transformation der Seelsorge in der Bundeswehr, in: Isolde Karle/Niklas Peuckmann (Hg.): Seelsorge in der Bundeswehr. Perspektiven aus Theorie und Praxis, Leipzig 2020, 205-219.

2 Starke Gemeinschaft und wichtige Stütze, in: Die Bundeswehr. Das Magazin des Deutschen BundeswehrVerbands, August 2020, 18.

3 Ebd.

4 Vgl. ebd.

5 Vgl. www.ekd.de/6-tagung-der-synode-der-ekd-2019-49304.htm (am 02.01.2021).

6 Vgl. Protokollbuch der Ordentlichen Kreissynode Jülich vom 03. Oktober 2020 in Düren zu TOP 5c) Militärseelsorge.

7 Vgl. www.ev.rub.de/mam/pt-karle/tagung_militärseelsorge_flyer.pdf (abgerufen am 27.12.2020). Dazu erschien der inhaltlich erweiterte Tagungsband: Isolde Karle/Niklas Peuckmann (Hg.): Seelsorge in der Bundeswehr. Perspektiven aus Theorie und Praxis, Leipzig 2020.

8 Werner Schiewek, Heroismus in der Seelsorge. Über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen einer seelsorgerlichen Ressource in Militär und Polizei, in: Karle/Peuckmann, a.a.O. (2020), 85-98.

9 Vgl. Klaus Beckmann: „… dass sie noch einen anderen Herrn haben“. Seelsorge in der Bundeswehr zwischen Autonomie und Abhängigkeit, in: Karle/Peuckmann, a.a.O. (2020), 167-186; 181.

10 Ebd.

11 Vgl. Sylvie Thonak/Gerd Theißen: Einleitung, in: Dies./ders.: Militärseelsorge – das ungeliebte Kind protestantischer Friedensethik?, Berlin/Münster 2020, 9-23; v.a. 13.

12 Vgl. Karle/Peuckmann, Seelsorge in der Lebenswelt Bundeswehr. Poimenische Leitlinien der Militärseelsorge, in: dies, a.a.O. (2020), 17-37; 34f.

13 „Wie kann die Militärseelsorge mit ihren komplexen Beziehungen zum Staat und zum Militär als Kirche in der Gesellschaft profiliert werden? Wo steht sie innerhalb der Landschaft kirchlicher Handlungsfelder? Gehört sie als Seelsorge und damit als Muttersprache der Kirche in ihr Zentrum oder ist sie womöglich mittlerweile zu einer ecclesiola extra ecclesiam, einer kleinen Kirche außerhalb der Kirche geworden?“: Niklas Peuckmann: Militärseelsorge und Öffentliche Theologie. Überlegungen zur Verortung der Seelsorge in der Bundeswehr, in: Karle/Peuckmann, a.a.O. (2020), 257-272; 259.

14 So Niklas Peuckmann: In kritischer Solidarität. Eine Theorie der Militärseelsorge, Leipzig 2022, 219.

15 Vgl. die überarbeitete Fassung von: Sylvie Thonak, Ecclesiola extra ecclesiam? Zur Zukunft der evangelischen Militärseelsorge, in: Dies./Theißen (2020), a.a.O., 191-204; v.a. 193f.

16 Vgl. kritisch die Leserbriefe von Militärpfarrer Thomas Thiel (DPfBl 2022, 370f) und der ehemaligen Militärpfarrerin Annette Seifert, a.a.O., 372f.

17 Vgl. den Leserbrief von Pastor i.R. Erhard Graf, DPfBl 2022, 371f. Welche persönlichen Beschädigungen durch intransparente Leitungsstrukturen entstehen können, macht der daran anschließend abgedruckte Leserbrief von Pfarrerin Annette Seifert auf bestürzende Weise deutlich.

18 Vgl. Thiel, a.a.O., 371.

19 Vgl. bes. zur Entfaltung dieses Gedankens bei Schleiermacher: Wichmann von Meding, Kirchenverbesserung, Bielefeld 1986.

20 Peuckmann, a.a.O., 260f.

21 Vgl. Niklas Peuckmann, „Der Herr Wolf ist tot“. Mensch-Tier-Beziehungen in der kirchlichen Praxis, in: Pastoraltheologie 111 (2022), 35-48, hier: 40.

22 Vgl. ebd.

23 Vgl. Peuckmann, In kritischer Solidarität, a.a.O., 259f.

24 Siehe z.B. den Leserbrief von Militärpfarrer Thiel, a.a.O., 371.

25 Einschlägige Belege finden sich bei Meike Wanner: Lebenskundlicher Unterricht in der Bundeswehr, in: Karle/Peuckmann (Hg.) (2020), a.a.O., 245-256; 245-248.

26 Dirck Ackermann: Ethische Bildung in der Bundeswehr auf neuen Wegen? Militärseelsorge als Gesprächs- und Kooperationspartner in der Persönlichkeitsbildung von Soldatinnen und Soldaten, a.a.O., 235-243, hier: 241.

27 Niklas Peuckmann: Militärseelsorge und Öffentliche Theologie. Überlegungen zur Verortung der Seelsorge in der Bundeswehr, in: Karle/ders. (Hg.) (2020), a.a.O., 257-272; 269.

28 Peuckmann, Militärseelsorge und Öffentliche Theologie (2020), a.a.O., 268f.

29 Vgl. Sigurd Rink/Klaus Beckmann, Fenster ins Zivile. Überlegungen zu einer künftigen islamischen Militärseelsorge, in: DtPfBl 119 (2019), 127-131, hier: 129.

30 Ackermann (2020), a.a.O., 238.

31 In Hamburg wird er inzwischen interreligiös-dialogisch gestaltet. Vgl. https://li.hamburg.de/religion/material/3847950/art-einleitung/

32 Vgl. Beckmann (2020), a.a.O., 171 Anm. 18.

33 Vgl. Protokollbuch Kreissynode Jülich zu TOP 5c) Militärseelsorge.

34 Vgl. Wanner (2020), a.a.O., 247f.

35 Wanner (2020), a.a.O., 248.

36 Siehe Wanner (2020), a.a.O., 249f.

37 Wanner (2020), a.a.O., 251.

38 Siehe Wanner (2020), a.a.O., 253.

39 Vgl. Peuckmann (2022), a.a.O., 248.

40 Kleine Anfrage der Abgeordneten Tobias Pflüger, Christine Buchholz, Dr. Alexander S. Neu und der Fraktion DIE LINKE. Militärseelsorge bei der Bundeswehr. Deutscher Bundestag. Drucksache 19/21067 vom 14.07.2020 , hier: Frage 28.

41 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Tobias Pflüger, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Vom 7. Juli 2020. BT-Drucksache 19/21067 Militärseelsorge bei der Bundeswehr.

42 www.domradio.de/themen/kirche-und-politik/2021-03-14/vorgesetzte-haben-einen-dienstkonflikt-militaerbischof-kritisiert-geplanten-ethikunterricht-der (abgerufen am 14.03.2021).

43 Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit der Evang. Kirche in Deutschland zur Regelung der evang. Militärseelsorge: BGBl 1957 II, 702ff; VMBl 1957, 757, abgekürzt: MSV (1957) Art. 4.

Aus: Deutsches Pfarrerblatt - Heft 8/2022

1 Kommentar zu diesem Artikel, am 13.08.2022: Kommentar von Dr. Detlef Bald, Vorsitzender des Dietrich-Bonhoeffer-Vereins

Die Militärseelsorge hat das Grundübel des Anfangs von 1955 nicht lösen können; die Traditionalisten im Militär wollten die engste Verbindung wie im Kaiserreich; die Reformer der Inneren Führung wie Baudissin wollten LKU von Lehrern, Gewerkschaftlern u.a. Dozenten unterrichtet haben (das nur als ein Beispiel); ebenso gab es den Ansatz, die "Mil.-Pfarrer" in die zivilen Gemeinden zu versetzten und den Nebenauftrag dann in der Bw. Also: heute über Unabhängigkeit und Klarheit der Pfarrer zu reden, verlangt Reformbereitschaft. Alles hier nur in Kürze.
= = = = = = = = =  =
 

(2.) Sylvie Thonak, "Ein krankes System" - Zur Reformbedürftigkeit der evangelischen Militärseelsorge, Deutsches Pfarrerblatt 3/2022 (Juli), 164-169

Die Militärseelsorge ist ein wichtiger Dienst der Kirche an Soldatinnen und Soldaten. Doch sie kann diesem Auftrag nur gerecht werden, wenn sie – in Distanz zum Staat – fest im Verkündigungsauftrag der Kirche verwurzelt ist. Sylvie Thonak erkennt in der gegenwärtigen Verfassung der evangelischen Militärseelsorge erhebliche strukturelle Defizite, die nicht nur das Verhältnis zum Staat, sondern auch zur verfassten evangelischen Kirche und zur Ökumene berühren.

Auftragsforschung der evangelischen Militärseelsorge an einer zivilen Universität

Jüngst erschien der Sammelband Seelsorge in der Bundeswehr – Perspektiven aus Theorie und Praxis, herausgegeben von Isolde Karle und Niklas Peuckmann. Er geht zurück auf eine Tagung, die an der Ruhr-Universität Bochum in Kooperation mit dem Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr zum Thema Seelsorge in der Lebenswelt Bundeswehr durchgeführt wurde. Die Tagung wiederum hängt mit einem Forschungsprojekt zur Militärseelsorge zusammen, in das das Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr ebenfalls involviert ist.

Karle/Peuckmann sprechen im Blick auf die Referierenden von einer „Bandbreite des spannungsvollen Diskursfeldes“1. Sieht man sich das Programm2 des Symposiums genauer an, dann fällt auf: Von den neun Referierenden, die im Tagungsprogramm angekündigt waren – Begrüßung und Diskussionsleitung durch die Gastgebenden nicht mitgerechnet – arbeiten sechs entweder bei der kath. oder bei der evang. Militär­seel­sorge.3 Dazu kommt noch eine weitere Mitarbeiterin der Bundeswehr vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften in Potsdam.4 Nur zwei Personen aus dem Kreis der mündlich auf der Tagung Vortragenden arbeiten an zivilen Universitäten.5 Bei dieser Art von drittmittelfinanzierter Auftragsforschung kann man schon fragen, wie weit die Freiheit und Unabhängigkeit ziviler universitärer Forschung tatsächlich möglich war im Blick auf die Auswahl der Themen und der Referierenden. Denn genau die Institution trat als Haupt- oder Mitveranstalter auf, die selbst der Forschungsgegenstand ist, mit dem man sich kritisch auseinandersetzen will, um die Institution zukunftsfähig weiter zu entwickeln – zudem war lediglich der Beitrag von Militärbischof Sigurd Rink über Professionalisierungsbestrebungen in Bundeswehr und Militärseelsorge als Keynote öffentlich.6

Die Chance auf eine Horizonterweiterung durch Zulassen einer akademisch geschulten und am Thema interessierten Öffentlichkeit7 schien den Veranstaltern dieses konkreten Tagungsformats wohl kein zentrales Anliegen gewesen zu sein. Gemäß Karle/Peuckmann werde die Militärseelsorge in heutiger Zeit nicht mehr polemisch als Ausdruck einer „Raketenkirche“ verstanden, sie werde inzwischen vielmehr als Partner einer anwendungsbezogenen Friedensethik betrachtet – allerdings führen sie als einzigen Beleg für diese harmonisierende These lediglich eine Publikation aus dem Bereich der Bundeswehr8 an.

Für den im Folgejahr 2020 erschienenen Sammelband wurden zusätzlich mit Meike Wanner9 eine weitere Autorin aus dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr und sieben weitere männliche Autoren gewonnen, darunter fünf Personen, die auf der Gehaltsliste des BMVg stehen, drei davon sind evang. Militärgeistliche. Jedoch ist mit Reiner Anselm immerhin der Vorsitzende der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD in einem fundiert-kritischen Beitrag vertreten.10 Bedauerlich wiederum kann man es nennen, dass weder alle mündlichen Vorträge noch die teilweise sehr kritischen Diskussionsbeiträge der Tagung in dem Sammelband dokumentiert wurden.11 Trotz fragwürdiger Rahmenbedingungen bringt der Tagungsband wichtige Ansatzpunkte für Reformen ans Licht, wie im Folgenden gezeigt wird.

Erster hauptamtlicher Militärbischof benennt „Unwuchten“ des „kranken Systems“ der evangelischen Militärseelsorge

In dem einzigen öffentlichen Vortrag im Rahmen des Symposiums bzw. dem nachträglich unter leicht verändertem Titel12 veröffentlichten Manuskript legt Sigurd Rink am Ende seiner Amtszeit als erster hauptamtlicher Militärbischof die dringende Reformnotwendigkeit des Militärseelsorgevertrags bemerkenswert offen dar. Er beschreibt aus seiner Perspektive verschiedene Dauerkonflikte, die seit 1957 aus rechtlichen Regelungsdefiziten zwischen der staatlichen und der kirchlichen Leitung der Militärseelsorge resultieren. Rink nennt „Unwuchten, die Webfehler des Systems Militär­seel­sorge“13, er spricht von einem „kranken System“14 und bringt die Probleme klar auf den Punkt. Im Kern gehe es in der Kompetenzzuschreibung „nur“ um folgende Frage: „Wer bestimmt wie über die Einsetzung des Militärbischofs und des Generaldekans und – diesen beiden folgend – über die Einsetzung der Leitenden Dekane, der Dekane und der Militärpfarrerinnen und -pfarrer?“15 Im Sinne der positiven, hinkenden Trennung von Staat und Kirche sei deutlich, dass es keinen Übergriff des Staates bei der Besetzung geistlicher Ämter geben darf. Diesen Grundsatz hätten sowohl die röm.-kath. als auch die jüdische Militärseelsorge konstruktiv eingehalten – in der evang. Militärseelsorge fehle noch eine überzeugende Klärung dieses Verhältnisses. Die unklare Kompetenzzuschreibung durchziehe sowohl den Militärseelsorgevertrag als auch die Geschichte der evangelischen Seelsorge wie ein roter Faden seit 1957.16

Der aus dem Amt scheidende Militärbischof blickt auf Konfliktfelder zurück: „Der Militärbischof und die entsendende Landeskirche halten einen Pfarrer für uneingeschränkt geeignet – die staatliche Oberbehörde nicht: Was geschieht dann? Muss er zurück in die Landeskirche oder darf er bleiben? Die Bundesoberbehörde möchte einen Pfarrer nach sechs Jahren in seine Landeskirche zurücksenden, der Militärbischof möchte ihn im Feld halten: Wer entscheidet letztlich darüber? Die Bundesoberbehörde möchte einen Pfarrer auf eine herausgehobene Führungsposition befördern – der Militärbischof kommt nach reiflicher Prüfung zu einem anderen Resultat im Hinblick auf die Bewerberliste – wie geht das Verfahren aus?“17 All diese Fragen sind im Militärseelsorgevertrag nach Ansicht Rinks nicht hinreichend geklärt. Es finde sich im Vertrag von 1957 am Ende eine Freundschaftsklausel der Verständigung zwischen Staat und Kirche – diese sei zwar hilfreich, aber eben nicht hinreichend. Es bedürfe an dieser Stelle einer Nachbesserung der vertraglichen Vereinbarungen, will man nicht immer wieder die Konsequenzen dieser Unklarheiten auf Kosten von einzelnen Personen austragen. Ob dazu nach über 60 Jahren der Vertrag aufgeschnürt werden sollte oder einige Zusatzklauseln reichten, sei umstritten. Er als Militärbischof plädiere für eine Re-Vision des Vertrages, weil er in vielen Elementen veraltet sei und der neue Vertrag der jüdischen Militärseelsorge, obschon er sich am evang. Modell orientiere, in entscheidenden Passagen signifikant besser, d.h. klarer geworden sei. Andere seien dafür, nicht am Vertrag zu rühren, weil es riskant sei, an einmal geschlossenen Verträgen zu arbeiten und sie neu zu verhandeln.18 Doch benötigt der Vertrag nach Rinks Einschätzung in jedem Fall substanzielle Ergänzungen, die die grundgesetzlichen Vorgaben stärker berücksichtigten. Dabei müssten insbesondere die Kompetenzen des Militärbischofs als Leitendem Geistlichen als auch die Profession und Zuordnung des Generaldekans als staatlichen Behördenleiters geklärt werden, was im neuen Vertrag über die jüdische Militärseelsorge mustergültig gelungen sei.19

Konkrete rechtliche Regelungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der EKD

An dieser Stelle ist ein Blick auf die konkreten rechtlichen Regelungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der EKD hilfreich. Das Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr und der Militärgeneraldekan sind Themen der Art. 14 und 15 des Vertrags20 der Bundesrepublik Deutschland mit der Evang. Kirche in Deutschland zur Regelung der evang. Militärseelsorge:21

„Artikel 14

Zur Wahrnehmung der zentralen Verwaltungsaufgaben der evangelischen Militärseelsorge wird am Sitz des Bundesministeriums für Verteidigung ein ‚Evangelisches Kirchenamt für die Bundeswehr‘ eingerichtet, das dem Bundesminister für Verteidigung unmittelbar nachgeordnet ist.

Artikel 15

(1) Zum Leiter des Evangelischen Kirchenamtes für die Bundeswehr wird auf Vorschlag des Militärbischofs ein Militärgeneraldekan berufen.

(2) Der Militärgeneraldekan untersteht dem Militärbischof. Soweit er mit der Militärseelsorge zusammenhängende staatliche Verwaltungsaufgaben wahrnimmt, untersteht er dem Bundesminister für Verteidigung.

(3) Der Militärbischof kann den Militärgeneraldekan im Einzelfall mit der Wahrnehmung der ihm nach Artikel 12 Absatz 1 zustehenden Befugnisse beauftragen.“22

Dem Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr eignet nach Auffassung des Juristen Jörg Ennuschat ein staatlich-kirchlicher Doppelstatus.23 Um ein reibungsloses Funktionieren im Sinne des gewünschten kirchlichen Handelns im Raum der Bundeswehr zu sichern, sei es wünschenswert, stärker zwischen den staatlichen Verwaltungsaufgaben des Kirchenamts und den kirchlichen Leitungsaufgaben zu unterscheiden und dies in der Struktur der konkreten Ämter abzubilden.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass in der jüdischen Militärseelsorge die beamtete Militärrabbinatsleiterin oder der beamtete Militärrabbinatsleiter als staatliche/r Behördenchef/in jüdischen Bekenntnisses sein muss. Eine entsprechende Zugehörigkeit zur kath. oder evang. Kirche ist weder bei den staatlich beamteten Leitungskräften im Kath. Militärbischofsamt noch im Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr vertraglich vorgeschrieben.24

„Strukturelle Webfehler“ der evangelischen Militärseelsorge

Was der frühere Militärbischof „strukturelle Web­fehler“25 nennt, wird durch den amtierenden Militärgeneraldekan – mutmaßlich ungewollt – bestätigt: Militärgeneraldekan Matthias Heimer beschreibt in seinem Beitrag des Sammelbandes das von ihm geleitete Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr, also die oberste Verwaltungsbehörde der evang. Militärseelsorge, als „Teil des Systems und der Systemlogiken“26, die der Bundeswehr zu eigen seien. Im Militärseelsorgevertrag ist das in dieser Weise nicht vorgesehen, denn dort ist das Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr eine – zwar dem Verteidigungsministerium unmittelbar unterstellte – staatliche, aber eben nicht militärische – Einrichtung mit dem Zweck, den Militärbischof in seinem kirchlichen Leitungshandeln administrativ zu unterstützen und das in Handlung umzusetzen, was der Militärbischof vorgibt. Daher sollte die EKD alarmiert sein, wenn der Militärgeneraldekan das Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr zur „zentralen Leitungseinrichtung“ der evang. Militärseelsorge erhebt. Der Militärseelsorgevertrag weist dem Evang. Kirchenamt für die Bundeswehr zentrale Verwaltungsaufgaben zu, überträgt ihm aber eben gerade keine eigenständige Leitungsfunktion.

Das Zitat von Militärgeneraldekan Heimer zeigt eine übergriffige Praxis der militärischen Struktur auf die im Militärseelsorgevertrag festgeschriebene kirchliche Leitung. Der Militärseelsorgevertrag und die EKD scheinen real nicht verhindern zu können, dass Militärgeneraldekan Heimer die evang. Militärseelsorge als einen vereinnahmten Bestandteil der Bundeswehr beschreibt. In der bischofslosen Zeit nach dem Ausscheiden Rinks und vor der Einsetzung des neuen Militärbischofs wurde im August 2020 publik, dass es Militärgeneraldekan Heimer – wie es in einem Bericht des Deutschen Bundeswehrverbandes heißt – kurzfristig zu organisieren gelang, das Evangelische Kirchenamt für die Bundes­wehr zu einer „Truppenkameradschaft Militärseelsorge“27 innerhalb des Bundeswehrverbandes zu machen. Dabei sprach Heimer nicht vom Evang. Kirchen­amt für die Bundeswehr, sondern vom „Militärkirchenamt“28.

Wie man dem Magazin des Bundeswehrverbandes entnehmen kann, übernimmt Militärgeneraldekan Heimer den Vorsitz dieser Truppenkameradschaft, und seine Büroleiterin Silke Singer ist seine Stellvertreterin. Das Ereignis hat Heimer zufolge eine „historische Dimension“ und erhebliche „Symbolkraft“29 – Militärgeneraldekan Heimer und andere im Militärkirchenamt sind nun offiziell Kameraden der Soldaten. Dass Militärgeneraldekan Heimer sich 2020 als Akteur militärischer Systemlogik offenbart, veranschaulicht den dringenden Reformbedarf, um das kirchliche Handeln der Militärseelsorge von Übergriffen zu befreien.

Interessant ist im Kontext möglicher Konflikte zwischen der kirchlichen und der staatlichen Leitung der Militärseelsorge auch die im Rahmen einer „Kleinen Anfrage“ von Bundestagsabgeordneten30 im Juli 2020 an die Bundesregierung gestellte Frage: „Wie ist jeweils das Vorgehen, wenn der katholische Militärgeneralvikar bzw. der evangelische Militärgeneraldekan aus Sicht ihrer jeweiligen zivilen Kirchenleitungen nicht mehr tragbar sind, z.B. weil das gegenseitige Vertrauen zerstört ist? Inwiefern können oder müssen sie abberufen werden, auch wenn sie Beamte auf Lebenszeit sind?“31 Die Antwort der Bundesregierung vom August 2020 lautet: „Mit Blick auf Artikel 23 Absatz 1 des Vertrages der Bundesrepublik Deutschland mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (Militärseelsorgevertrag) vom 22. Februar 1957, der gemäß Artikel 2 des Gesetzes über die Militärseelsorge vom 26. Juli 1957 hinsichtlich der beamtenrechtlichen Bestimmungen sinngemäß auch auf die katholischen Militärgeistlichen anzuwenden ist, gibt es über die entsprechenden Bestimmungen des Bundesbeamtengesetzes in der jeweils aktuellen Fassung hinaus lediglich zwei Entlassungsgründe: der Verlust der Ordination oder einen Antrag des Militärbischofs.“32 Wer jedoch im Konfliktfall ggf. über einen Antrag des Militärbischofs entscheidet, wird nicht ausgeführt.

Ein Beschluss der Synode des Kirchenkreises Jülich zur Reintegration der Seelsorge an Soldatinnen und Soldaten in die Kirche sieht als Lösung für die aktuelle Zwitterstellung des EKA als einer dem Verteidigungsministerium unmittelbar nachgeordneten Bundesoberbehörde folgendes vor: „Das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr ist ein kirchliches Amt für den Dienst der Kirche an Soldaten und Soldatinnen. Es wird dem Rat der EKD nachgeordnet und in das Kirchenamt der EKD integriert.“33

Die Hauptamtlichkeit des evangelischen Militärbischofs aus ökumenischer Perspektive

Als Vertreter der kath. Militärseelsorge reflektiert Thomas R. Elßner die Hauptamtlichkeit des evang. Militärbischofs aus ökumenischer Perspektive:34 Militärseelsorge könne nichts vertreten oder kirchlich lehren, was nicht allgemein kirchliche Gültigkeit besitze. Daher sei es zwingend erforderlich, dass die Hauptrepräsentanten der Militärseelsorge, vor allem Militärbischöfe, genuine Mitglieder der Hauptgremien der Partikularkirchen, z.B. der Bischofskonferenzen, seien. Ein aussagekräftiges Zeichen hierfür sei, wenn beispielsweise der Militärbischof dieses Amt nicht hauptamtlich innehabe, sondern in erster Linie Diözesan- oder Landesbischof sei. Dass seit 2014 die evang. Militärseelsorge für die Bundeswehr in Abstimmung mit der EKD einen hauptamtlichen Militärbischof hat und dass 2020 dieses Amt mit dem Wechsel des Amtsinhabers in dieser Weise fortgesetzt wird, sei selbst aus evang. Perspektive nicht unumstritten. Elßner betont, katholischerseits werde man in Deutschland die bisher bewährte Praxis, dass es keinen hauptamtlichen Militärbischof gibt, nicht ändern. Evangelischerseits scheine aber auch noch nicht das letzte Wort gesprochen zu sein. Elßner beruft sich dabei auf ein Diktum des Chefredakteurs von „zeitzeichen“, Reinhard Mawick: „Möglicherweise muss die EKD in Sachen Hauptamtlichkeit des Militärbischofs mittelfristig zu anderen Entscheidungen kommen“.35

Mit Bernhard Felmberg hat die evang. Militärseelsorge nun seit Oktober 2020 nach Sigurd Rink erneut einen hauptamtlichen Militärbischof.36 Ein Hauptamtlicher hat zumindest theoretisch mehr Zeit – das könnte ein Vorteil sein, jedoch scheinen sich durch die Hauptamtlichkeit auch die Konflikte verschärft zu haben. Das deutet Rink unter Bezug auf den Personalwechsel in der Leitung der evang. Militärseelsorge an: „Wenn es in einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. April 2020 heißt, aus EKD-Kreisen sei zu hören, man sei die andauernden Reibungsverluste zwischen Staat und Kirche im Bereich der Militärseelsorge leid, so kann man (…) nur leise schmunzeln. (…) Der Versuch, strukturelle Webfehler durch Personalveränderungen nachhaltig zu heilen, ist noch immer schiefgegangen.“37

Weitere Nachteile bereiten ernste Sorgen:38 Nicht nur das Ausscheren aus ökumenisch koordiniertem Vorgehen sorgt für Bedenken, denn die Katholiken behalten – wie von Elßner überzeugend ausgeführt – die Nebenamtlichkeit bei. Wird für ein kirchliches Handlungsfeld ein hauptamtlicher Bischof eingesetzt, verdichtet sich der Eindruck, die evang. Militärseelsorge sei so etwas wie eine selbstständige Kirche für das Militär, eine „ecclesiola in ecclesia“. Eine eigenständige „Kirche“ oder „Gliedkirche“ der EKD ist die Militärseelsorge jedoch nicht. In der Militärseelsorge gibt es weder eine gewählte Synode noch gewählte Presbyterien oder Kirchengemeinderatsgremien. Auch der sog. Beirat39 für die Militärseelsorge, der vom Rat der EKD zu seiner eigenen Beratung und zur Beratung des Militärbischofs berufen wird, stellt kein synodales Vertretungsorgan dar.40 was der Beirat selbst durch ein Gutachten41 belegt hat. Um das für den Protestantismus charakteristische synodale Prinzip und die damit verbundene Transparenz des Handelns ist es in der Militärseelsorge schlecht bestellt: Der Militärbischof muss sich lediglich vor Funktionseliten in der EKD, nicht aber vor einer synodalen Basis verantworten. Wenn nun die Kontrolle von unten durch die Synode der EKD schon fehlt, und der hauptamtliche Militärbischof nicht einmal mehr eine Form von kritischer Begleitung durch seine zivile Heimatkirche erfährt, die ein nebenamtlicher Militärbischof früher gleichzeitig leitete, verstärkt dies die Tendenz zur Eigendynamik militärkirchlicher Institutionen.

Man darf gespannt sein, wie der zweite hauptamtliche Militärbischof dieses Amt in den nächsten Jahren wahrnehmen wird: Ob er in Weisheit und Demut das Bischofsamt als kirchliches Hirten- und friedensethisches Wächteramt ausfüllt oder ob er – unabhängig von seiner kirchlichen Besoldung – sich eher als „Staatsbeamter im Talar“ gebärdet, wie sein Vorgänger vorwiegend auf Reisen ist42 oder – den Bestrebungen des Militärgeneraldekans folgend – die Militärseelsorge in die militärische Systemlogik zu überführen gedenkt.

Fazit: Militärseelsorge muss vom Verkündigungs­auftrag der Kirche her begründet sein

Da verschiedene Voten und auch für sich sprechende Fakten die Weiterentwicklungsnotwendigkeit bzw. Reformbedürftigkeit der evang. Militärseelsorge ans Licht bringen, ist zu hoffen, dass sich Kirchenkonferenz und Synode der EKD der Sache ernsthaft annehmen. Denn als hierarchische Organisation ohne synodale Basis hat die evang. Militärseelsorge eine Binnenkultur ausgeprägt, die sich nicht selten gegenüber der gesamtkirchlichen Kommunikation verselbstständigt hat und dem Geist des Militärseelsorgevertrages widerspricht. Die evang. Militärseelsorge zeigt verstärkte Tendenzen zu einer ecclesiola extra ecclesiam. Wenn der amtierende Militärgeneraldekan Seelsorgende zu „Kameraden“ erklärt, verlieren Soldatinnen und Soldaten in den Militärgeistlichen ein wichtiges ziviles Gegenüber.

Seelsorge lebt daraus, dass sie eine „andere“ Perspektive in das Leben einträgt. Dies wird mit Heimers demonstrativer Annäherung an das Soldatenmilieu – der man in der Tat eine „historische Dimension“ zusprechen kann, da sie Grundentscheidungen des Militärseelsorgevertrags berührt – in Frage gestellt. Der Hinweis des (inzwischen aus der Militärseelsorge ausgeschiedenen) Pfarrers Klaus Beckmann, es sei zu beherzigen, dass die Militärseelsorge nicht, wie etwa die Truppenpsychologie, militärisch-funktional orientiert, sondern vom Verkündigungsauftrag der Kirche her dem seelischen Wohl des Menschen in Uniform verpflichtet sei, muss hier hervorgehoben werden. Beckmann mahnt insbesondere für die Zusammenarbeit der Militärseelsorge mit anderen „helfenden“ Professionen im „Psychosozialen Netzwerk“ der Bundeswehr zur Vorsicht. Die im Grundsatz verschiedenen Konstitutionsbedingungen von Militärseelsorge einerseits, Truppenpsychologie, Sanitätswesen und Sozialdienst der Bundeswehr andererseits dürften nicht verwässert werden, da in erster Linie das strikte Seelsorgegeheimnis die Vertrauensstellung der Ordinierten bei den Soldaten begründe.43 Im Zuge einer Überarbeitung der Strukturen sind synodale Elemente dringend zu berücksichtigen, um die Militärseelsorge in die Gesamtkirche zu reintegrieren.

Anmerkungen

1 Isolde Karle/Niklas Peuckmann: Militärseelsorge im Spannungsfeld von Kirche und Bundeswehr, in: dies. (Hg.): Seelsorge in der Bundeswehr. Perspektiven aus Theorie und Praxis, Leipzig 2020, 9-13; 9.

2 Vgl. www.ev.rub.de/mam/pt-karle/tagung_militärseelsorge_flyer.pdf. Programm für 20./21.11. 2019 (am 23.12.2020).

3 Die Vortragenden auf dem o.g. Symposium (gemäß Programm-Ankündigung bzw. aufgrund kurzfristiger Programmänderungen) waren: Militärbischof Sigurd Rink, Militärgeneraldekan Matthias Heimer sowie die Militärdekane Klaus Beckmann (Persönlicher Referent von Sigurd Rink), Heiko Schulz (Fürstenfeldbruck) und Christoph Sommer (Koordinator der Seelsorge in der Marine, in Vertretung des angekündigten katholischen Militärdekans Michael Gmelch) sowie Militärpfarrerin Eva Holthuis (Wesel, in Vertretung der angekündigten Militärpfarrerin Katja Bruns), Pastoralreferent Thomas R. Elßner (Referatsleiter im Kath. Militärbischofsamt).

4 Im Tagungsprogramm stand über die o.g. hinaus: Angelika Dörfler-Dierken vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr mit einem Vortrag zum Thema „Militärseelsorge im System der Bundeswehr“; sie wurde durch Militärdekan Schulz vertreten.

5 Die Vortragenden von zivilen Universitäten gemäß o.g. Programm-Ankündigung: Niklas Peuckmann von der Universität Bochum und Peter Wendl von der Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt, der allerdings sein in Kooperation mit der kath. Militärseelsorge durchgeführtes Forschungsprojekt vortrug: „Seit 2002 werden am Zentralinstitut für Ehe und Familie in der Gesellschaft (ZFG) der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt im Rahmen einer unbefristeten Kooperation mit dem Katholischen Militärbischofsamt (KMBA) Besonderheiten der Lebenswirklichkeit von Soldatenfamilien und die Bedeutung der Militärseelsorge als ‚Ernstfall der Familienpastoral‘ erforscht.“ Vgl. Peter Wendl: Lebenswirklichkeiten von Soldatenfamilien. Die Militärseelsorge als Ernstfall der Familienpastoral, a.a.O., 39-53; 39. Isolde Karle von der Universität Bochum übernahm als Gastgeberin die Begrüßung und Einführung (gemeinsam mit Militärdekan Ackermann) und die Moderation – vgl. o.g. Programm-Ankündigung.

6 Die Tagung in Bochum war – abgesehen von der o.g. Keynote – nur in überschaubarem Umfang fakultätsöffentlich – z.B. für eine begrenzte Anzahl Studierender im Rahmen eines Blockseminars Peuckmanns, der an einer vom Kirchenamt der evang. Militärseelsorge geförderten Dissertation arbeitete.

7 Zur Tendenz zur Exklusion der Öffentlichkeit bei der evang. Militärseelsorge vgl. Sylvie Thonak, Nicht öffentlicher „Gottesdienst“ zur Einführung des Militärbischofs in ein öffentliches Amt – Eine Problemanzeige, in: dies./Gerd Theißen: Militärseelsorge – das ungeliebte Kind protestantischer Friedensethik? Berlin/Münster 2020, 181-189.

8 Vgl. Isolde Karle/Niklas Peuckmann: Seelsorge in der Lebenswelt Bundeswehr. Poimenische Leitlinien der Militärseelsorge, a.a.O., 17-37; 17. Dort findet sich unter Fußnote 2 nur der Literaturverweis auf Angelika Dörfler-Dierken, Militärseelsorge und Friedensethik, EvTh 70 (4/2010), 278-292.

9 Vgl. Meike Wanner: Lebenskundlicher Unterricht in der Bundeswehr, in: Karle/Niklas Peuckmann (2020), a.a.O., 245-256.

10 Die betreffenden Autoren und ihre Artikel sind: Gerhard Kümmel vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften: Das Militär, die Frauen und die Militärseelsorge, a.a.O., 55-66; Thomas Thiel (evang. Militärgeistlicher): Blutrausch, a.a.O., 67-84; Werner Schiewek (Landespolizeipfarrer der Evang. Kirche von Westfalen): Heroismus in der Seelsorge. Über Chancen, Risiken und Nebenwirkungen einer seelsorgerlichen Ressource in Militär und Polizei, a.a.O., 85-98; Christoph Sommer (evang. Militärgeistlicher): Seelsorge an Bord einer seegehenden Einheit der Deutschen Marine. Perspektiven aus der Praxis, a.a.O., 99-114; Jobst Reller (evang. Militärgeistlicher): Historische Grundlagen der Seelsorge in der Bundeswehr, a.a.O., 117-131; Reiner Anselm (Ludwig-Maximilians-Universität München): Sensibilisieren, nicht legitimieren. Die bleibende Aufgabe der Militärseelsorge in der Perspektive der evang. Ethik, a.a.O., 223-233; Friedrich Lohmann (Universität der Bundeswehr München in Neubiberg): Militärseelsorge aus ethischer Perspektive, a.a.O., 273-290.

11 In der Publikation nicht abgedruckt sind die Beiträge von Militärdekan Schulz in Vertretung von Dörfler-Dierken und von Militärpfarrerin Holthuis in Vertretung der angekündigten Militärpfarrerin Bruns.

12 Rinks öffentliche Keynote 2019 hatte den Titel: Professionalisierungsbestrebungen in Bundeswehr und Militärseelsorge, die Publikation im Tagungssammelband ist überschrieben mit: Auf Spannung angelegt. Zur Transformation der Seelsorge in der Bundeswehr, a.a.O., 205-219.

13 Rink (2020), a.a.O., 215.

14 Rink zitiert führende „kirchenleitende Vertreter, die die Militärseelsorge gut kennen“ und „in dieser Hinsicht von einem ‚kranken System‘“ sprechen: Rink (2020), a.a.O., 214.

15 Rink (2020), a.a.O., 216.

16 Siehe Rink (2020), a.a.O., 216.

17 Rink (2020), a.a.O., 217.

18 Vgl. Rink (2020), a.a.O., 217f.

19 Siehe Rink (2020), a.a.O., 218.

20 Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit der Evang. Kirche in Deutschland zur Regelung der evang. Militärseelsorge: BGBl 1957 II, 702ff; VMBl 1957, 757, abgekürzt: MSV (1957).

21 Vgl. Sylvie Thonak, Einführung in die staatliche und kirchliche Struktur der evang. Militärseelsorge in Deutschland, in: dies./Theißen (2020), a.a.O., 91-120; hier 99-101.

22 MSV (1957), ebd.

23 Siehe Jörg Ennuschat, Militärseelsorge in Deutschland: Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Perspektiven, in: ZevKR 64 (2019) 107-124; 111f.

24 Vgl. JüdMilSeelsG Art. 13, Abs.1, Bundestagsdrucksache 19/18074 (neu), 14.

25 Rink (2020), a.a.O., 215.

26 Matthias Heimer: „Heilsame Irritationen“– Leitsätze für die Seelsorge in der Bundeswehr und was es braucht, um sie mit Leben zu füllen, in: Karle/Peuckmann (Hg.) (2020), a.a.O., 187-204; 187.

27 Starke Gemeinschaft und wichtige Stütze, in: Die Bundeswehr. Das Magazin des Deutschen BundeswehrVerbands, August 2020, 18.

28 Vgl. ebd.

29 Ebd.

30 Vgl. Kleine Anfrage der Abgeordneten Tobias Pflüger, Christine Buchholz, Dr. Alexander S. Neu und der Fraktion DIE LINKE. Militärseelsorge bei der Bundeswehr. Deutscher Bundestag. Drucksache 19/21067 vom 14.07.2020 (abgekürzt: Kleine Anfrage).

31 Kleine Anfrage, Frage 29, a.a.O.

32 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Tobias Pflüger, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Vom 7. Juli 2020. BT-Drucksache 19/21067 Militärseelsorge bei der Bundeswehr (abgekürzt: Antwort BMVg) auf Frage 29, a.a.O.

33 Vgl. Protokollbuch der Ordentlichen Kreissynode Jülich vom 03. Oktober 2020 in Düren zu TOP 5c) Militärseelsorge.

34 Vgl. Thomas R. Elßner: Die Bedeutung der Ökumene für die Militärseelsorge, in: Karle/Peuckmann (2020) a.a.O., 133-143; 136f.

35 Reinhard Mawick, Gewagte Neubesetzung. EKD beruft erneut einen hauptamtlichen Militärbischof, in: zeitzeichen. Evang. Kommentare zu Religion und Gesellschaft, Nr. 5 (2020), 53. Zitiert bei Elßner, a.a.O., 136f.

36 Vgl. www.bundeswehr-journal.de/2020/amtseinfuehrung-von-militaerbischof-bernhard-felmberg/ und www.evangelische-zeitung.de/neuer-militaerbischof-ins-amt-eingefuehrt/ (am 14.11.2020).

37 Rink, a.a.O., 215.

38 Vgl. die überarbeitete Fassung von Sylvie ­Thonak, Ecclesiola extra ecclesiolam? Zur Zukunft der evangelischen Militärseelsorge, in: dies./

Theißen (2020), a.a.O., 191-204; v.a. 193f.

39 Vgl. Ordnung für den Beirat Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr vom 20./21.2. 2004 unter www.kirchenrecht-ekd.de/showdocument/id/3140, abgekürzt: Ordnung Beirat, §1, Ziff. 1.

40 Vgl. Wolfgang Huber: Kirche und Öffentlichkeit, Stuttgart 1973, 291.

41 Vgl. ebd., 291.

42 Vgl. Sylvie Thonak: Ein „Hochwertziel“ für Anschläge: Als Militärbischof hauptamtlich auf Reisen, in: dies./Theißen (2020), a.a.O., 205-216.

43 Vgl. Klaus Beckmann: „… dass sie noch einen anderen Herrn haben“. Seelsorge in der Bundeswehr zwischen Autonomie und Abhängigkeit, in: Karle/Peuckmann a.a.O. (2020), 167-186; 182. Zum Umgang mit dem Seelsorgegeheimnis in der Militärseelsorge vgl. auch: Thonak, in: dies./Theißen (2020), a.a.O., 211-214.

 

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