Dr. Reinhard J. Voß (ehemaliger pc-Generalsekretär)

Militär-Seelsorge? – Soldatenseelsorge?! – Friedensdienste!

Überarbeiteter Vortrag beim Symposion „50 Jahre Militärseelsorge in der Deutschen Bundeswehr“, Berlin, 11.03.2004

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Die Einladung an Pax Christi Deutschland bzw. an mich als deren Generalsekretär zu einem Beitrag beim Jubiläum der Militärseelsorge nehme ich gerne an, denn sie ist ganz im Sinne des Bischofswortes „Gerechter Friede“, das „eine Kultur des Gesprächs zwischen katholischen Soldaten und katholischen Mitgliedern der Friedensbewegung“ (181) empfiehlt. Ich danke dem Herrn Militärgeneralvikar, Prälat Walter Wakenhut, und weiß mich ihm als Katholik verbunden, besonders über die Kommission Justitia et Pax, der wir gemeinsam angehören; gemeinsam sind wir herausgefordert zum Dialog für einen gerechten Frieden.

Wir haben historisch gesehen zwischen Pax Christi und Katholischer Militärseelsorge mindestens zwei gemeinsame Bezugspersonen: zunächst Bischof Théas von Lourdes, der zusammen mit Laien beiderlei Geschlechts 1944/45 Pax Christi durch sein Versöhnungshandeln begründete, wodurch für Soldaten und Pazifisten – besonders der französischen Sektion von Pax Christi - Lourdes immer ein wichtiger Wallfahrtsort geblieben ist. Zum anderen nenne ich den Wiener Kardinal König, der sowohl Militärvikar (1959ff.) als auch Präsident von Pax Christi International (PCI; 1985-1990) gewesen ist. „Kardinal König war der festen Überzeigung, dass Frieden auf dem Versuch beharrlicher wechselseitiger Verständigung basiert“, hieß es im Nachruf von PCI auf den am 13.3.2004 im Alter von 98 Jahren gestorbenen Kardinal (Zeitschrift der deutschen Sektion von Pax Christi, pax zeit, 2/2004, S. 20).

Pax Christi als eine katholisch-ökumenische internationale Bewegung entstand aus dem Versöhnungsangebot französischer Katholiken an die Deutschen – nicht nur an die Christen.

pax christi entstand vor dem Hintergrund der Schrecken und Wunden des Zweiten Weltkrieges. Noch vor seinem Ende, im November 1944, sammelten sich auf Initiative von Madame Marthe Dortel-Claudot katholische Frauen und Männer in Frankreich, um für die Versöhnung mit Deutschland zu beten. Sie baten den Bischof von Montauban, Pierre Marie Théas, um Unterstützung, weil seine Grundüberzeugung ihrem Anliegen entsprach. Théas war, nachdem er auf der Kanzel öffentlich gegen den Abtransport von Juden Stellung bezogen hatte, in das Internierungslager Compiègne gebracht worden, wo die Transporte nach Buchenwald zusammengestellt wurden. Mitgefangene suchten angesichts dieser bedrückenden Lage seinen Trost und Zuspruch. Es war kein billiger Trost, den der Bischof bereithielt. Das Gebet des Vaterunser mit der Bitte ”und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben ...” schien vielen nicht mehr nachvollziehbar. Den Schuldigern, den Deutschen vergeben angesichts von Krieg, Besatzung und Mord? Doch der Bischof bestand darauf, daß Feindesliebe die einzige Möglichkeit sei, Vergeltung und Gewalt zu überwinden. Er war den Menschen ein glaubwürdiger Zeuge. Knapp entging Théas der Deportation und konnte im Frühjahr 1945 als einer von 40 französischen Bischöfen einen Aufruf zu einem ”Gebetskreuzzug für die Versöhnung mit Deutschland und den Frieden in der ganzen Welt” unterzeichnen. Das war die Geburtsstunde von pax christi. Gemeinsames Gebet und die versöhnende Kraft des ”Friedens Christi” (lat. pax christi) sollten verfeindete Menschen und Völker zusammenführen und die Chance einer gemeinsamen Zukunft eröffnen. Der Aufruf verbreitete sich schnell auch in Deutschland. Über Grenzen hinweg wurden Kontakte geknüpft; es kam zu ersten deutsch-französischen Begegnungen. Im April 1948 besuchte eine französische Delegation mit ihrem Präsidenten Bischof Théas den ersten internationalen Friedenskongreß von pax christi im niederrheinischen Marienwallfahrtsort Kevelaer. Während eines Gottesdienstes werden deutsche Jungen und Mädchen zur ersten Kommunion geführt und Bischof Théas kann ihnen die Freilassung ihrer Väter aus französischer Kriegsgefangenschaft verkünden - eine Geste der Versöhnung. Im Verlauf dieses Kongresses, am 3. April 1948, wird der deutsche Zweig von pax christi gegründet.

So ist der „Geburtsmythos“ von Pax Christi auf ihrer Homepage (www.paxchristi.de) beschrieben.

Es ist bezeichnend, dass die beiden bekanntesten konfessionellen Friedensorganisationen nach 1945 – die katholische „Pax Christi“ (gegr. 1948) und die protestantische „Aktion Sühnezeichen“ (gegr. 1958) - sich bei aller Unterschiedlichkeit doch in bezeichnender Parallelität entwickelten: den drei Nachkriegsjahrzehnten der praktischen „Sühne“, der solidarischen Hilfe, des Gebets, der Versöhnungsinitiativen und –zeichen folgte die Beteiligung beider an der neuen Friedensbewegung ab Ende der siebziger Jahre und ihre thematische Ausweitung auf die vielfältigen neuen Bedrohungen des Friedens – von der atomaren Aufrüstung und der Verletzung der Menschenrechte über die ökonomische Ungerechtigkeit bis hin zu neuen ökologischen Gefährdungen. Beide entwickelten schließlich Anfang der 90er Jahre im Rahmen der Diskussion über zivile Friedensdienste und neue Formen ziviler Konflikt-Bearbeitung Formen sog. Friedensfachdienste in bedrohten Vor- und Nachkriegs-Situationen.

Unser aktuelles Arbeitsspektrum ist breit gefächert. Die Kommissionen und Arbeitsgruppen der deutschen Sektion von Pax Christi bearbeiten derzeit folgende Bereiche: Asyl/Flüchtlinge; Friedensdienste; Friedenspolitik; Nationalismus - Antisemitismus; Nahost (besonders Palästina/Israel); Wirtschaft, Ökologie, Entwicklung; Solidaritätsfonds Eine Welt; Solidarität mit Zentralafrika; Jugendforum. Hinzu kommen Kooperationen mit vielen Sozialen Bewegungen (z.B. ATTAC - für mehr Kontrolle der Finanzmärkte; Kampagnen gegen Rüstungsexporte, Kleinwaffen und Landminen; Kairos Europa; Bund für Soziale Verteidigung; Forum Ziviler Friedensdienst; Plattform Zivile Konfliktbearbeitung; u.v.a.).

Der Kontakt zu Soldaten und Militärs war seltener und jahrelang inexistent. Pax Christi hat oft auf die problematische Rolle der Militärseelsorge zu Wehrmachtszeiten hingewiesen (s.u.a. die Arbeiten von Prof. Heinz Missalla, langjähriger Geistlicher Beirat der deutschen Sektion). Nun beansprucht die Bundeswehr ein bewusster Gegenentwurf zur Wehrmacht zu sein und setzt sich erfreulicher Weise kritisch mit deren militärischer Tradition auseinander. Insofern haben wir eine Basis für streitbare Dialoge. Und wir könnten aktueller nicht sein, denn „Verteidigungs“-Minister Struck stellt am gleichen Ort und Tag, an dem dieses Symposium stattfindet, die Perspektive und Struktur der neuen Bundeswehr mit ihrer strategischen Dreiteilung im Hinblick auf künftige Auslandseinsätze und weltweite „Verteidigung“ vor; darüber gab und gibt es keine wirklich offene gesellschaftliche Debatte, wie auch die Deutsche Bischofskonferenz während ihrer Frühjahrsvollversammlung vom 1.- 4.3.2004 bemängelte (Pressemitteilung der DBK vom 4.3.2004, Teil II, 1). Ich komme darauf zum Schluss dieses Beitrages zurück.

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Im Rückblick auf die Geschichte, aber auch im Ausblick auf die Perspektive eines Gerechten Friedens stelle ich als Generalsekretär der deutschen pax christi-Sektion grundsätzliche Anfragen an die „Militärseelsorge“, weniger an deren berufsethische Praxis als vielmehr an deren Selbstverständnis und politische Funktion.

Die Kirchenzeitung des Bistums Fulda, der Bonifatiusbote, schrieb am 31.8.2003 über die durchaus „gelegentlich“ umstrittene Militärseelsorge im Ausland – am Beispiel eines katholischen Pfarrers, der im Kosovo Dienst tat: „Es geht ihnen nicht um die kirchliche „Absegnung“ eines Militäreinsatzes, um dessen moralische Rechtfertigung. Es geht ihnen um die Menschen, um die Soldaten, die unter extremen Belastungen stehen. Die Sorge ums Überleben ist nur das Eine; mindestens genau so bedrückend wird die Trennung von der Familie (empfunden...). Die Partnerschaften von Soldaten im Auslandseinsatz scheitern häufiger als im Bevölkerungsdurchschnitt. Für die Kirche ist dies Grund genug, sich verstärkt der Soldaten und ihrer Familien anzunehmen.“

Schon dieses Zitat aus der Fuldaer Kirchenzeitung zeigt die grundsätzliche Problematik auf: zwischen der abgelehnten moralischen Rechtfertigung eines Militäreinsatzes und der seelischen Betreuung der Soldaten klafft eine wichtige Lücke, nämlich die Frage, ob nicht auch der politisch-friedensethische Einspruch im politisch-militärischen „Geschäft“ eine Aufgabe der Militärseelsorge ist, will sie nur ihrem Namen gerecht werden. Denn „Militär“ ist eben mehr als eine Ansammlung von einzelnen zu betreuenden Soldaten und deren Familien. So wäre auch Krankenhaus-Seelsorge individualistisch verkürzt, kümmerte sie sich neben den Kranken nicht auch um Strukturen und berufsethische Fragen (wie Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals, der medizinischen Betreuung, der Verwaltung und der Arbeitszeit).

Durch eine fehlende Auseinandersetzung mit der strukturell-politischen Ebene begibt sich die Militärseelsorge ihrer Möglichkeiten politischen Einflusses gerade auf dem Hintergrund ihrer strukturellen Einbindung und ihrer direkten Basiserfahrungen. Erstmals ist ein neuer Ansatz positiv spürbar geworden bei internen Einsprüchen vor dem Jugoslawienkrieg gegenüber dem Verteidigungsministerium; danach in offenen Anfragen des Militärbischofs Mixa gegen den Afghanistankrieg und schließlich im Einspruch der gesamten Kirche und Christenheit gegen den illegalen Irakkrieg.

In meinem kurzen Vortrag soll es genau um diese im Titel genannte Spannung gehen: zwischen (1) der Realität der „Militärseelsorge“ in ihrer institutionellen Einbindung, (2) dem Anspruch, Seelsorge für die betroffenen Soldaten zu gewähr(leist)en, sowie (3) der Perspektive, eine Friedenspolitik zu unterstützen, die - von UN-Friedenstruppen bis hin zu Zivilen Friedensdiensten - nicht mehr von nationalstaatlichen und ökonomischen Interessen geleitet, sondern einer neuen künftigen „Weltinnenpolitik“ und den sie tragenden humanitären und menschenrechtlichen Grundsätzen verpflichtet ist. Im Kern frage ich an: In welches Ganze“ müssen künftiges „Militär“ oder „Politär“ oder internationale Polizei eingebettet sein, um den Kriterien des Gerechten Friedens zu genügen und die Legitimität der Militärseelsorge zu gewährleisten?

Perspektivisch haben genau dies der französische Staatspräsident Chirac („Aufbau eines internationalen Rechtsstaates“) und der deutsche Bundeskanzler Schröder („Umfassende Prävention“) am 24.9.2003 nach genau 30 Jahren deutscher Mitgliedschaft in der UNO vor deren Vollversammlung betont. Gerhard Schröder zitierte Willy Brandt, der am 18.9.1973 vor der UNO ausführte: „Die Globalisierung von Gefahren durch Krieg, Chaos, Selbstzerstörung erfordert eine Art „Weltinnenpolitik“, die über nationale Grenzen hinausreicht.“ Und Schröder fügte hinzu, die schlimmen historischen Erfahrungen Deutschlands mit Militärherrschaft und Nationalsozialismus wiesen den „Weg zu Sicherheit und Frieden durch umfassende Prävention“ – und dies vor allem „mit wirtschaftlichen, politischen und humanitären Mitteln“ sowie in Extremsituationen im internationalen Rahmen und unter UN-Mandat durch „militärische Verantwortung dort, wo das zur Sicherung des Friedens und zum Schutz der Menschen unumgänglich ist“. (FAZ 25.9.03, S. 3)

Damit solche politischen Formeln nicht uminterpretiert werden können, ist die christlich-ethische Verständigung über „Gerechten Frieden“ so wichtig und verbindlich – gerade und besonders auch für die Militärseelsorge und die Friedensbewegung.

Folgende Anfragen an die Militärseelsorge möchte ich besonders hervorheben:

1. Was ist heute Friedensdienst? Ist die Formel Militärdienst=Friedensdienst noch gültig – und wenn ja, wann? – Und wie sollte Seelsorge an Soldaten künftig praktiziert werden?

2. Wie kann die Beratung und Begleitung von Soldatinnen und Soldaten staatsunabhängig geregelt werden?

3. Welches Soldatenbild hat die Militärseelsorge für die Zukunft? Christliches Menschenbild und Innere Führung werden gerade im Übergang zu einer künftigen Berufsarmee schwierig einzubringen sein, denn faktisch ist die allgemeine Wehrpflicht zu Ende; und was tut die Militärseelsorge zur Emanzipation des Soldatenbildes von einem nationalen oder machtblock-politischen Armeeverständnis?

4. Wie ist es mit der gleichrangigen Betreuung und Begleitung von Friedensfach- und Freiwilligen-Diensten – und zwar in personeller, konzeptioneller und finanzieller Hinsicht?

5. Wie kann in Militärkreisen und im Bereich traditioneller oder künftiger Zivildienste bzw. Ziviler Friedens- und Freiwilligendienste die friedensethische Diskussion vertieft und verbreitert werden?

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Im Einzelnen sind diese Anfragen zu vertiefen:

(1) Ist Militärdienst Friedendienst – grundsätzlich bzw. unter welchen Bedingungen und Perspektiven?

· Geht ein beamteter christlicher Amtsträger als Militärseelsorger in den Dienst des Militärs, um dessen Legitimation zu erhöhen oder um den Soldaten seelischen und menschlichen Beistand zu geben – und inwieweit ist dies subjektiv und objektiv

deckungsgleich? – Sie haben als Militärseelsorge diese Frage immer klar beantwortet im Sinne der Seelsorge am Menschen und erreichen mittlerweile nach ihren Angaben auch immer mehr nichtkirchlich geprägte Soldaten. Aber sind Sie sich auch der politisch-legitimatorischen Folgen dieser organisatorischen Einbindung unter den kommenden neuen Verhältnissen bewusst und welche Konsequenzen ziehen Sie gegebenenfalls?

· Kann es eine „Kirche im Militär“ geben (vgl. das Konzept der „Kirche im Sozialismus“)? Sicher nicht. Wir plädieren für eine noch stärkere Trennung von Kirche und Staat. Die gesellschaftlichen Realitäten machen es notwendig, neu über die Organisation der Seelsorge - auch an Soldaten und Hauptamtlichen in der Friedensarbeit nachzudenken.

· Kann Kirche und Militärseelsorge dazu beitragen, aus dem traditionellen Macht- und Expansions-Instrument „Militär“ einen nicht mehr national-souverän, sondern nur noch mit UN-Mandat einsetzbaren Teil internationaler „Friedenstruppen“ zu entwickeln? Da Militärseelsorge an der Schnittstelle zwischen staatlichem Auftrag (und Interesse), persönlichem Einsatz und kirchlicher Friedensethik arbeitet, muss sie sich auch an dieser politischen Debatte beteiligen – zumal sie organisatorisch und finanziell mit dem staatlichen System verknüpft ist.

These: Die von Ihnen oft behauptete und juristisch weitgehend zugesicherte Unabhängigkeit der Militärseelsorge vom Staat in Deutschland sollte stärker genutzt werden, um friedensethische Einsprüche und Debatten über die Legitimität von weltweiten Militäreinsätzen – zu humanitären oder sonstigen Zwecken – offen und engagiert zu diskutieren. In der friedensethischen Debatte ist Ihre Stimme zu wenig vernehmbar; Sie sind wohl zu nah am System.

(2) Wie kann die Beratung und Begleitung von Soldatinnen und Soldaten staats-unabhängig geregelt werden? Diese Frage, wie Beratung und Begleitung von Soldaten (christlichen und nichtchristlichen) in friedensethischen, sozialen und persönlichen Fragen institutionell organisiert werden soll, wurde im wieder vereinigten Deutschland nach einer Schamfrist „westlich“ gelöst. Das östliche gemeinde-orientierte und staats-distanzierte System wurde aufgegeben. Ich habe von Beteiligten aus der ehemaligen DDR gelernt, dass auch das dortige System nicht idealisiert werden dürfe, frage aber gleichwohl:

· Was kann man vom Gemeindebezug der Soldatenseelsorge in der DDR lernen, nimmt man die faktische Auseinanderentwicklung von Staat und Kirchen auf vielen Gebieten im aktuellen Deutschland ernst?

· Wie ist bei zu großer Staatsnähe das Soldatenbild des II. Vatikanums überhaupt noch umzusetzen, dass „Soldaten im Dienste des Vaterlandes“ „Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker“ seien bzw. zu sein hätten? (Gaudium et Spes, 79, zitiert in Gerechter Friede Nr. 133)? Gerade in der aktuellen Diskussion über die Rolle von Völkerrecht und Minderheitenschutz ist kritisch zu fragen, wo militärische Missionen diesen Zielen dienen und wo sie machtpolitisch bestimmt sind.

· In welchen Gesamtrahmen muss künftiges „Militär“ eingebettet sein, um den Kriterien des Gerechten Friedens zu genügen? Letztlich geht es um die Aufgabe der nationalen Armee zugunsten eines UN-Rahmens.

These: Durch die strukturelle Einbettung einer formal auch noch so „unabhängigen“ Militärseelsorge hat diese sich ständig zu fragen und fragen zu lassen ob und wie ihre spirituelle, pastorale und friedensethische Sendung dadurch getrübt wird.

(3) Zum Soldatenbild der Militärseelsorge – gerade auch im Hinblick auf eine künftige Berufsarmee:

· Warum sollen Pfarrer im Dienste und auf der Gehaltsliste des nationalen Militärs bzw. Staates stehen, zumal wenn dessen Armee immer stärker zur weltweiten Einsatztruppe und wahrscheinlich in Bälde auch zur Freiwilligen- und Berufsarmee wird?

· Sind sich Militärpfarrer genügend der Gefahr bewusst, vielleicht weniger politisch als vielmehr kulturell vereinnahmt und „eingefärbt“ zu werden – nicht nur im Sinne der möglicherweise getragenen „Uni-form“, sondern auch der Umgangs-Form(en)?

· Können Sie sich „Des-Integrations-Übungen“ für Soldaten vorstellen - im Sinne sozialen Lernens, der Zivilcourage, der Kriterien des Gerechten Friedens sowie der Ausbildung neuer Curricula für UN-Friedens- und Blauhelm-Truppen?

· Wird diskutiert, was eine Umstellung der Wehrpflicht- zur Freiwilligen- und Berufsarmee für die psychologischen und sozialen Grundlagen der Arbeit bedeutet? („social draft“ = Armee als Anziehungspunkt sozial Deklassierter!) Sie in der Militärseelsorge sind bekanntermaßen gegen die Berufsarmee, werden sie aber wohl kaum verhindern können. Deshalb ist diese Frage wichtig.

Statt einer These eine aktuelle Meldung: Anlässlich des Jahresberichtes des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Willfried Penner, hat sich auch das unverdächtige Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) zu Wort gemeldet – mit einer Warnung vor dem neuen Soldaten-Typus (zit. nach FR,10.3.2004, S. 4): Demnach hätten militärische und politische Führung ein „traditionell geprägtes, militärisches Selbstverständnis durchgesetzt“; etabliert sei ein „Kämpfer-Kult“. Der Soldat „als kriegsnah ausgebildeter, allzeit bereiter, selbstlos dienender und unbedingt gehorchender Kämpfertyp“ werde zur „fraglos zu akzeptierenden Norm“. (Erklärung der Kommission „Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“, der auch IFSH-Chef Reinhard Mutz, Bertold Meyer von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und Ex-General Johannes Gerber angehören.)

(4) Wäre es nicht besser, viel stärker auch Friedensdienst-Freiwillige, Zivile und Friedensfachkräfte seelisch zu stärken? Eine Frage, die vielleicht nicht in Ihren Arbeitsauftrag, wohl aber in unsere gemeinsamen politischen Überlegungen gehört.

· Warum gibt es neben der traditionellen KDV-Beratung und –betreuung („Das Ja zum Nein entwickeln“) keine systematisch organisierten und professionell abgesicherten Begleitangebote für Friedensfachkräfte und Humanitäre Dienstkräfte in Krisengebieten?

· Diese Perspektive sollte die Militärseelsorge zusammen mit Zivildienstverantwortlichen und Friedensorganisationen wie Pax Christi bei den Kirchenleitungen einklagen.

These: Gerade angesichts der zusammenwachsenden „Weltinnenpolitik“ im Rahmen der UNO kommen friedensschaffenden und –erhaltenden Missionen immer mehr Bedeutung zu, in denen durch sogenannte „zivil-militärische Zusammenarbeit“ Zivilisten und Militärs oft gleichzeitig zur Eindämmung von Krisen und zum „Nation-building“ entsandt werden. Unabhängig von der Diskussion um die mögliche Vereinnahmung von Zivilem Friedensdienst durch Militärs – was Pax Christi und beispielsweise das entwicklungspolitische Bündnis VENRO vehement kritisieren – muss sich die Militärseelsorge dieser neuen Konstellation inhaltlich und strukturell bald stellen.

(5) Zur friedensethischen Diskussion: Ich komme zurück auf die vorher geschilderte „Lücke“ zwischen der moralischen Ablehnung eines Militäreinsatzes und der seelischen Betreuung der Soldaten in solchen Einsätzen und stoße auf die Frage, ob nicht auch der politisch-friedensethische Einspruch im politisch-militärischen „Geschäft“ eine Aufgabe der Militärseelsorge ist. Das gilt übrigens auch für die Praxis derzeitiger Zivildienst-Seelsorge, wie mir Herbert Froehlich, Geistlicher Beirat von Pax Christi Deutschland, bestätigte: es handle sich dort weitgehend auch mehr um berufsethische Beratung zu Lebens- und Leidenserfahrungen (etwa für ungelernte Mitarbeiter/innen in Kranken- und Pflegediensten) und weniger bis kaum um friedensethische Diskurse. Ich selbst kann diesen Mangel an Interesse gegenüber friedensethischen Fragen aus meiner früheren Arbeit an Zivildienstschulen zum größten Teil bestätigen.

· Wie ist diese Lücke, die in der Militär- und in der Zivildienst-Seelsorge (wenn auch in unterschiedlicher Form) auftaucht, zu schließen: nämlich die Thematisierung des Friedensauftrages im Sinne des Gerechten Friedens?

· Und weiter: Wie kann ein gemeinsamer friedensethischer Diskurs von Soldaten und Friedensfachkräften – im gesellschaftspolitischen und dazu auch noch im kirchlichen Kontext – organisiert werden?

Wir haben Ende März 2004 einen ersten Wochenend-Dialog zwischen der GKS und Pax Christi unter dem Dach von Justitia et Pax gestartet, der gezeigt hat, dass bei aller Unterschiedlichkeit doch genügend gemeinsame Fragestellungen in der Perspektive eines „Gerechten Friedens“ möglich und notwendig zu besprechen sind.

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Im Kontext der Europäisierung von Verteidigungs- und Militärstrategie stellen sich völlig neue Fragen an den vielgelobten deutschen Sonderweg der Bundeswehr mit ihrer „Inneren Führung“ und dem defensiven Selbstverständnis. Schon die Debatte um den illegalen und illegitimen Irakkrieg 2003 zeigte in relativ einhelliger Diskussionslage mit einer diesen Krieg ebenfalls ablehnenden deutschen Regierung, dass die Kirchen letztlich die Völkerrechtswidrigkeit dieses Krieges nicht genügend deutlich machten und damit der Regierung die Frage einer möglichen Sperrung von US-Basen, bzw. der Flugrechte über Deutschland von diesen aus, für den Irak-Krieg ersparten. Pax Christi war mit ihrer Erklärung vom 19./20.3.2003 an die Regierung, das Nein konsequent durchzuhalten, nicht stark genug.

Wie wird sich die Lage erst darstellen, wenn die neue EU-Verfassung akzeptiert sein wird? Darin gibt es – weltweit bemerkenswert – eine Verpflichtung zur Aufrüstung und „Verbesserung der militärischen Fähigkeiten“ (Art I-40,3), so dass Deutschland neben den traditionellen Atom- und Militärmächten wie Frankreich und Großbritannien seine Sonderrolle kaum wird durchhalten können. Bei der Tagung des Europäischen Rates in Thessaloniki am 20.6.2003 legte Javier Solana eine eigene europäische Sicherheitsstrategie vor (Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/2003, S. 1009ff), in der sich auch handfeste militärische Festlegungen finden: er erklärte - fast im Sinne und Geiste der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA vom Herbst 2002, wenn auch nur präventiv und nicht pre-emptive wie diese - für die EU „unser herkömmliches Konzept der Selbstverteidigung“ für obsolet und meinte dass bei den „neuen Bedrohungen … die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen“ werde. Die EU müsse notfalls „mehrere Operationen gleichzeitig“ aufrechterhalten: „Wir müssen eine strategische Kultur entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen begünstigt. ... (Dazu) müssen wir die Mittel für die Verteidigung aufstocken“. Das Papier wurde mit geringfügigen Änderungen vom EU-Gipfel im Dezember 2003 in Brüssel akzeptiert. („A Secure Europa in a better world, European Security Strategie, Brüssel, 12.12.2003; zitiert nach Komitee für Grundrechte und Demokratie: EU-Militarisierung zerstört die „Zivilmacht Europa“, Februar 2004, S. 13ff.)

Ein hochrangiger Beamter aus Solanas Umgebung meinte offenherzig: „Wenn es stimmt, dass die Welt ein Dschungel ist, dann sollten wir sicherstellen, dass Europa zu den Tiger n gehört und nicht zu den Affen.“ (Süddeutsche Zeitung, 21.5.2003) Das sind die Perspektiven und das ist der Geist, dem wir uns zu stellen haben als friedensethisch verantwortliche Organisationen und Personen.

Deshalb noch drei politische Abschlussüberlegungen - auch im Kontext der Äußerungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 4.3.2004 zu Wehrpflicht und Militärseelsorge:

1. Der DBK ist zuzustimmen, das die ethische Debatte über künftige Sicherheits-, Militärund Friedenspolitik „sehr unzureichend“ ist und öffentlicher geführt werden muss. Pax christi hat in den letzten Jahren in Krisenregionen ein neues Dialogfeld genau zwischen diesen Einsatzfeldern entdeckt: Soldaten, Polizisten, Friedenfachkräfte und Zivile Einsatzkräfte in humanitären Bereich arbeiten oft gut zusammen, sind aber unterschiedlichen „Kulturen“ und Auftraggebern, evtl. auch verschiedenen Zielen und Wegen verpflichtet. Wir warnen eindringlich vor der ideologischen Vereinnahmung ziviler Fachkräfte und Ansätze durch Militärs. Wir sehen eine praktisch vor Ort begründete, dahinter liegend aber politisch-legitimatorisch bedingte Aufgabenerweiterung in diese Bereiche hinein. Dagegen hat auch VENRO vehement protestiert. Aber diesen Dialog zu beginnen, sind wir bereit – im Sinne der Stärkung künftiger Weltinnenpolitik und unter dem Dach der ökumenisch weitgehend konsens-bildenden Friedensethik des „Gerechten Friedens“.

2. Im Gegensatz zur DBK ist pax christi der Auffassung, dass durch eine allgemeine Wehrpflicht kaum gesellschaftliche Sensibilität für die „Begründungspflichtigkeit gegenüber Militäraktionen“ gestärkt wird. Das ist schon jetzt nicht mehr so, da die allgemeine Wehrpflicht faktisch nicht mehr existiert und die Verweigererzahlen kontinuierlich steigen. Wir fragen uns: kann die Freiheit der Bürger noch begründet beschnitten werden, wenn es keine akute militärische Bedrohung des Landes mehr gibt? Die Frage der Integration einer Berufsarmee in die Gesellschaft ist also für uns zweitrangig hinter der Frage anzusiedeln, wie Menschen-, Freiheits- und Bürgerrechte in dieser Gesellschaft geachtet und entfaltet werden. Wir fordern schon lange die Abschaffung der Wehrpflicht und sehen auch durch die Bildung einer Berufsarmee unser Konzept staats-unabhängiger Beratung und Begleitung eher gestärkt denn als überflüssig an.

3. Ich betone drittens nochmals meine Kernthese, dass egal bei welcher Wehrform des Staates die kirchliche Seelsorge an Soldaten staats-unabhängig geregelt sein und bleiben muss. Ich sehe durchaus die Spannung zwischen Distanz und Loyalität, die Schwierigkeit der Trennung zwischen Person und Funktion als Militär- besser gesagt: Soldatenseelsorger. Die Gemeinde-Regelung in der DDR war vielleicht auch nicht zukunftsfähiger als die westliche; eine große Skepsis gegenüber künftiger staatlicher Militärpolitik aber ist vonnöten – gerade im Hinblick auf interesse-geleitete Blockpolitik (einzelner Staatenbünde, der NATO oder der künftigen EU), auch wenn sie wie so oft unter dem Mantel von Terrorbekämpfung und humanitärer Intervention geschieht.

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Der künftige Dialog zwischen Friedensbewegung und Militärseelsorge kann dazu beitragen, diese Unabhängigkeit der Begleitung und das Wachhalten friedensethischer Diskurse zu gewährleisten. Die Perspektive verlagert sich „von einer der militärischen Logik untergeordneten religiösen Betreuung von Soldaten zur friedensfördernden Seelsoge“, wie die ökumenischen Basisgruppen und Netzwerke es zum Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 formuliert haben. In deren Grundsatzpapier „Nachhaltiger Friede. Zum Paradigmenwechsel in der Friedensarbeit“ (als Ms. gedruckt; AG „Frieden heute“ c/o Prof. Hoppe, Universität der Bundeswehr Hamburg) werden unter dem besagten Titel vier Forderungen erhoben, mit denen ich schließen und denen ich mich anschließen möchte:

1. Die vollständige Unabhängigkeit von Verkündigung und Seelsorge von politischen Vorgaben ist bei jeder institutionellen Regelung unbedingt zu gewährleisten.

2. In die Seelsorge an Soldaten sind Seelsorger zu berufen, denen die Minimierung von Gewalt und der Vorrang von Prävention ein persönliches Anliegen ist.

3. Es muss Gewissensbildung für einen zeitgemäßen militärischen Gehorsam erfolgen. Dazu gehören das Wissen darum, welchen ethischen und rechtlichen Grenzen Befehl und Gehorsam unterliegen (…).

4. Bei Neuregelungen der Seelsorge an Soldaten ist diese geforderte Gewissensbildung zu verankern. (…) Die Kirchen, ihre leitenden Personen und Gremien und die Kirchengemeinden müssen dafür Sorge tragen, dass die Identität kirchlicher Friedensethik gerade im sensiblen Bereich der Seelsorge an Soldaten gewahrt bleibt.

Dr. Reinhard J. Voß war Generalsekretär der deutschen Sektion der Internationalen Katholischen Friedensbewegung Pax Christi, Postfach 1345, D-61103 Bad Vilbel E-Mail: r.voss@paxchristi.de 

Dr. Reinhard J. Voß (Jahrgang 1949) ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder; er studierte Geschichte, Romanistik und Andragogik in Gießen, Paris und Berlin und engagierte sich gemeinsam mit Prof. Horst-Eberhard Richter ab 1969 in der Obdachlosenarbeit in Gießen, später im Bereich der Neuen Sozialen Bewegungen. Der promovierte Historiker arbeitete fast 25 Jahre als Erwachsenenbildner in kirchlichen Akademien und für ökumenische Basisbewegungen, von denen er mehrere mit aufbaute (Ökumenische Initiative Eine Welt, Oekumenischer Dienst Schalomdiakonat, Ökumenischer Informationsdienst u.a.). Er nahm Lehraufträge zu Fragen der Ökumene und Konfliktbearbeitung (in Bochum, Kassel und Osnabrück) wahr, arbeitete hauptamtlich als Trainer für den Zivilen Friedensdienst und ist seit Anfang 2001 Generalsekretär der deutschen Sektion von pax christi. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. „Schalomdiakonat. Erfahrungen und Einsichten zur Gewaltfreiheit“, Probleme des Friedens 2-3/2000, Idstein 2000