Fest in der Tradition verankert - die Militärseelsorge

von Hartwig Hohnsbein, Pfr.i.R., Göttingen, Zeitschrift „Kirche von unten“ Nr. 101, September 2001

  • „Wir haben Soldaten notwendig, gläubige Soldaten. Gläubige Soldaten sind die wertvollsten. Die setzen alles ein“ (1)
  • „Wir sind fest davon überzeugt, dass das christliche Fundament der Armee festgefügt werden muss. Die Militärseelsorge ist für uns ein fundamentales zentrales Anliegen von vielleicht entscheidender Bedeutung.“ (2)

Sie standen an der Wiege des Neugeborenen und lachten, sie, die Paten, die zugleich Garanten dafür waren, dass alles so blieb, wie es immer gewesen war: Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Adolf Heusinger, 16 Jahre zuvor in der Umgebung Hitlers tätig, wo er am 13. März 1941 dessen Befehl „Im großrussischen Reich ist Anwendung brutalster Gewalt notwendig" gehorsamst entgegennahm (3); der Staatssekretär und Chef des Bundeskanzleramtes, Hans Globke, 22 Jahre zuvor als einer der „befähigsten und tüchtigsten Beamten" des Nazi-Innenministers Frick Kommentator der „Nürnberger Rassegesetze", die zum Holocaust hinführten (4); der designierte, aber noch nicht von der EKD-Synode ernannte Militärbischof Hermann Kunst (5) (der gleichwohl schon mal das Bischofskreuz trug!), 22 Jahre zuvor Standortpfarrer in Herford, wo er den jungen Soldaten im November 1935 bei der Vereidigung einschärfte: „Meine Kameraden … Ihr seid bis an euer Lebensende keine Privatperson, sondern dem Führer des Volkes verschworene Gemeinschaft" (6) - woran er sich auf seiner weiteren Laufbahn als Feldseelsorger in der Nazi-Armee natürlich auch selbst hielt, gemäß den Richtlinien der damaligen „Feld-Seelsorge": „Die Feldseelsorge ist … ein wichtiges Mittel zur Stärkung der Schlagkraft des Heeres" (1939) und, 1942, vom Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, dem später als Kriegsverbrecher gehängten Keitel angeordnet: „Der siegreiche Ausgang des nationalsozialistischen Freiheitskampfes entscheidet die Zukunft der deutschen Volksgemeinschaft. Die Wehrmachtsseelsorge hat dieser Tatsache eindeutig Rechnung zu tragen." (7) Vor diesen und noch weiteren erlauchten Paten saßen die Beurkunder der Geburt: Der Bundeskanzler Adenauer, der nun wusste, dass seine bis dahin sehr umstrittene Wiederbewaffnung der Bundesrepublik, weil kirchlich unterstützt, gelingen würde; sein Verteidigungsminister Strauß, der sich nun schon Gedanken machte, wie er am besten an Atomwaffen herankäme und, kirchlicherseits, der Kirchenkanzleichef Heinz Brunotte, der 1939 als Oberkonsistorialrat der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei (DEKK) darauf hingewirkt hatte, dass sich die ev. Kirche zur NS-Rassenlehre bekannte; und schließlich das Haupt der ev. Kirche, ihr Ratsvorsitzender Otto Dibelius, 1933 Segenspender für das Bündnis Hindenburg-Hitler am „Tag von Potsdam" und in der jungen Bundesrepublik erprobter Streiter im Kampf für die Wiederbewaffnung. Auf einem berühmten Bilde ist die Geburt, die Unterzeichnung des westdeutschen Militärseelsorgevertrages am 22. Februar 1957, festgehalten. Bei näheren Hinsehen stellt man fest, dass das Neugeborene ein Wiedergänger früherer Verträge war, und illegitim war es außerdem. Eine Außerordentliche Synode der EKD hatte nämlich am 29.7.1956 beschlossen, dass in bezug auf eine Militärseelsorge nichts geschehen solle, „was die EKD in dieser Sache bindet" . Unter „gröblicher Missachtung dieses Synodalbeschlusses" (8) und unter Ausschluss jeder kritischen Öffentlichkeit kam es dennoch zu dem geschilderten Geburtszeremoniell, das die nachfolgende Synode, staatstreu wie sie nun einmal war, mit Zweidrittel-Mehrheit anerkannte. Besondere Punkte, die einem Laien am Vertrage auffallen, sind diese:

  • die ev. Kirche wird, ähnlich wie die katholische Kirche durch ihr Konkordat, durch den Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland zu einem quasi Völkerrechtssubjekt, erfahrt also eine immense Aufwertung;
  • in den „Schlussvorschriften" fehlt eine Kündigungsklausel; das Adjektiv „Ständig" bei „Militärseelsorge" Art. l heißt wohl so viel wie: „ewigwährend";
  • prophetisch wie die Kirchen bisweilen sein können, wird der Militärbischof (Art. 12.12) zuständig für „die Seelsorge für ev. Kriegsgefangene" gemacht, das kann dann auch schon mal in Angriffskriegen der Fall sein;
  • nach Art.2 werden der Militärseelsorge erhebliche finanzielle Mittel vonseiten des Staates zugestanden, u.s.w.

Und die Militärseelsorge erwies sich in den nächsten Jahrzehnten dafür dankbar gegenüber dem Staat, und dabei wurde sie zu einer „Schule der Anpassung und des Unfriedens", wie der Untertitel des Buches von H.-D. Bamberg (vergleiche Anm.2) es zutreffend ausdrückt. Hier erfährt man, wie die Militärseelsorge den verbrecherischen US-Krieg gegen Vietnam unterstützte ebenso wie die Atompolitik der Bundesregierung (Militärgeneraldekan von Mutius 1960: Wer die Atombombe ablehnt, kann kein Militärpfarrer werden. (9) Als ein besonders angepasstes Dokument soll an das von hohen Staats- und Kirchenvertretern erstelltes Geheimpapier vom 1.April 1969 erinnert werden, in dem es, bei damals steil ansteigenden Zahlen von Kriegsdienstverweigern, um die quasi Abschaffung des GG Art.4 ging. (10) 'Nach diesem Skandal wurde es relativ ruhig um die Militärseelsorge; der kritische Bürger wusste inzwischen genug darüber, wofür sie da war; andere konnten das aus dem immer noch lesenswerten Buch von Günter Wallraff, „13 unerwünschte Reportagen", erfahren, wo in dem Kapitel „Töten um Gottes willen" dargestellt wird, wie, durchaus exemplarisch, der Opfertod Christi zum Soldatenvorbild wird: Ein Offizier im Naziangriffskrieg, der „bis zum letzten Blutstropfen kämpfte", vollzog ein mit dem Karfreitagsgeschehen parallelisiertes „Opfersterben"...

Mit der Übernahme der DDR-Kirchen 1990 kam das Thema „Militärseelsorge" wieder verstärkt ins öffentliche Bewusstsein, zumal die Synodalen des „Bundes der ev. Kirchen in der DDR", der gerade noch selbständig agieren konnte, es abgelehnt hatten, eine mögliche Ausweitung der Militärseelsorge auf ihr Kirchengebiet zuzulassen, um „nicht dem Bundesverteidigungsministerium zu dienen", wie es damals der Pfarrer, Axel Noack, heute Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, vollmundig erklärte. (11) Nachdem in der Folgezeit die früheren DDR-Kirchen bei ihrem Nein zum Militärseelsorgevertrag von 1957 blieben (Modell A) und stattdessen ein sog. Modell B favorisierten, worin z.B. Soldatenpfarrer als Kirchenbeamte statt Bundesbeamte tätig sein sollen, also eine stärkere Trennung von Staat und Kirche usw., der Bundeskanzler hingegen „die Absicht der Bundesregierung bekräftigte, uneingeschränkt am Militärseelsorge-Vertrag in der jetzigen Fassung festzuhalten" (12), wurde eine „Rahmenvereinbarung über die ev. .Seelsorge in der Bundeswehr in den neuen Bundesländern" zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der EKD ausgehandelt, die am 8.März 1996 paraphiert wurde und bis Ende 2003 befristet ist. (13)  

Obwohl es nun hoch an der Zeit ist, über die Militärseelsorge angesichts der neuen Militärpolitik des Vertragspartners, der Bundesrepublik Deutschland. (Umwandlung der Bundeswehr in eine Angriffsarmee), nach Annahme der Neuen NATO-Strategie und ihrer Beteiligung an dem völkerrechtwidrigen Jugoslawienkrieg von 1999, dem auch die EKD zustimmte (wegen des Militärseelsorge-Vertrages?), in den Gemeinden, in den Synoden, an den theologischen Fakultäten und sonst in der Öffentlichkeit zu beraten und auch zu streiten - es geschieht nichts Dergleichen - die kirchlichen und staatlichen Repräsentanten haben offensichtlich jedes Interesse daran, die kritische Öffentlichkeit wie 1957 auszuschließen, wenn es ihnen darum geht, die Militärseelsorge so zu erhalten. wie sie seit Jahrhunderten immer gewesen ist.

Soeben ist von Ines-Jacqueline Werkner eine Dissertation mit Vorschlägen für eine institutionelle Neuregelung der Militär- und Soldatenseelsorge erschienen (14), die für eine „konsequent kirchliche Eigenverantwortung und Trägerschaft" für diesen Seelsorgebereich plädiert und zusammenfasst: „Es sollte keine staatliche Refinanzierung dieses genuin kirchlichen Arbeitsfeldes erfolgen".

Auch wenn man sich nicht allen Vorschlägen anschließt und eine Auseinandersetzung mit der Militärpolitik vermisst- eine Chance zur öffentlichen Diskussion liegt allemal in diesem Buch. Jedoch: Es scheint um ein Jahr zu spät zu kommen; die Entscheidungen der EKD fallen im November dieses Jahres ; und im Übrigen: Die Kirche ist zu verliebt in eine staatliche Refinanzierung - vor diesem Argument dürften alle theologischen, moralischen und historischen Einwände verblassen.

Anmerkungen:

  1. Hitler zu den katholischen Bischöfen am 26.April 1933, zit. bei Wilfried Breyvogel ,Die Militärseelsorge, in: Club Voltaire IV, Jahrbuch für kritische Aufklärung, S. 313ff, hier: S. 313
  2. So Bundesverteidigungsminister Fr. J. Strauß 1958, zit. nach: Hans-Dieter Bamberg, Militärseelsorge in der Bundeswehr. Schule der Anpassung und des Unfriedens. 1970, S. 268. Das Buch Bambergs bietet bis heute immer noch die beste kritische Auseinandersetzung mit der Militärseelsorge. Trotzdem oder gerade deswegen wird es in der gängigen Literatur zur Militärseelsorge völlig übergangen, z.B. auch in der gründlichsten neueren, z.T. durchaus kritischen Darstellung von Dieter Beese, Seelsorger in Uniform, das 1994 in einer Reihe des Ev. Kirchenamtes für die Bundeswehr erschien. In dem umfangreichen Literaturverzeichnis taucht hier nicht einmal der Titel auf- schon das könnte für eine Nachforschung gefährlich werden!
  3. Zitiert nach Christian Streit, Keine Kameraden, S.313a
  4. Zu Globke z.B. Hans Friedrich, Die kalte Amnestie, Zitat hier. S. 294.
  5. Vergleiche dazu den Brief des Synodalen Helmut Gollwitzers an den Präses der EKD-Synode, von Dietze, vom 2.März 1957 in: Kirchl. Jahrbuch 1957, S,21f.
  6. In: „Neue Westfälische Volkszeitung" v. 12.11.1935 zit. bei Kurt Gaede, Prediger des Atomtodes, S.86
  7. Zitiert in meinem Aufsatz "Des Kriegsherrn treue Kirche", in OSSIETZKY 25/2000.
  8. Vergleiche Anmerkung 4.
  9. Zitiert bei Bamberg, Anmerkung 2, S. 262.
  10. Vergleiche dazu Bamberg, Anmerkung 2, S.277ff.
  11. Sein Beitrag ist als Dokumentation unter dem Titel, Ja zur Militärseelsorge ist ein Blankoscheck in den Händen der Armee", in FR. 7.11.1990, abgedruckt.
  12. epd-Meldung vom 10.09.1995, abgedruckt in epd-Dokumentation 14/96 S. 18,
  13. Die Rahmenverordnung ist abgedruckt in epd-Dokumentation 14/96,S. 1-3.
  14. Dr. Ines-Jacqueline Werkner: Von der Militär- und Soldatenseelsorge zur gemeinsamen Bundeswehrseelsorge, Nomos-Verlag in der Reihe Forum Innere Führung,Bd. 13, 2001. Ihre Vorschläge sind nun auch abgedruckt in epd-Dokumentation 30/2001, Meldung davon in Junge Kirche 4/01.

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